20. November 2013

Bassam Tibi: „Arabischer Frühling“ Katastrophe für religiöse Minderheiten im Nahen Osten

Der führende Nahostexperte Professor Bassam Tibi warnte in Zürich vor einer Entchristianisierung des Nahen Ostens. In einem Staat, der die Scharia als politische und rechtliche Grundlage verwende, hätten Demokratie und

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„Der sogenannte Arabische Frühling ist zu einem tödlichen Winter geworden“, sagte Professor Bassam Tibi gestern in Zürich. Im Rahmen der CSI-Vortragsreihe „Zukunft der religiösen Minderheiten im Nahen Osten“ sprach Tibi über „Die Aufstände im Nahen Osten und das Schicksal religiöser Minderheiten in einem Scharia-Staat – Die Unterstützung der USA für islamistische Regierungen“.

„Religionisierung“ der arabischen Revolten

Die Hoffnung, dass die Staaten der arabischen Revolten einen Demokratisierungsschub erleben könnten, habe sich als trügerisch erwiesen. Als es den islamistischen Bewegungen des Nahen Ostens gelang, die Revolten an sich zu reißen und zu „religionisieren“, habe sich schnell herausgestellt, dass religiöse Minderheiten in der Region nun nicht mehr sicher seien.

Entchristianisierung des Nahen Ostens

„Wir können im Nahen Osten klar eine Entchristianisierung beobachten“, stellte Tibi fest. Nicht nur im Irak sei dies der Fall, wo seit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen mehr als die Hälfte der christlichen Bevölkerung aus dem Land flüchten musste, sondern auch in Ägypten, im Libanon und in Tibis Heimat Syrien. Die politische Interpretation der Scharia, wie sie Hassan al-Banna, Gründer der Muslimbruderschaft, einführte und wie sie von zahlreichen islamistischen Bewegungen aufgegriffen und radikalisiert wurde, lasse keinen Raum für Christen, Juden und andere Minderheitenreligionen. Diese würden von radikalen Islamisten als Kuffar, Ungläubige, betrachtet. Als ein dramatisches Beispiel aus jüngster Zeit führte Tibi die August- Pogrome in Ägypten an, als mehr als 80 Kirchen verbrannt und zahlreiche kirchliche Einrichtungen, Wohnhäuser und Geschäfte von Christen zerstört wurden.

Keine Chance für Demokratisierung in einem Scharia-Staat

Die Krise des Nahen Ostens habe jedoch keinen religiösen Ursprung, betonte Tibi. Das enorme demografische Wachstum, mit dem die wirtschaftliche Entwicklung nicht Schritt halten konnte, habe eine Generation hervorgebracht, die keine Zukunft sehe. Als Antwort auf dieses Problem verbreiteten islamistische Gruppen das Schlagwort: „Der Islam ist die Lösung.“ Es sei jedoch enorm wichtig, so Tibi, Islam als Glaube von dessen politischer Interpretation, dem Islamismus, abzugrenzen. Sobald Koran und Scharia als Grundlage für politische Szenarien genutzt würden, gebe es keine Chance für Demokratisierung und Minderheitenschutz. Man müsse stattdessen die wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Probleme der Region lösen.

 

 

Weitere Infos zur Veranstaltungsreihe http://www.middle-east-minorities.com

Interview mit Prof. Bassam Tibi im „Echo der Zeit“ vom 19. November 2013 http://www.srf.ch/news/international/arabischer-fruehling- die-demokratie-laesst-auf-sich-warten

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