27. November 2016

Fünf Jahre nach dem Anschlag sind noch längst nicht alle Wunden verheilt

Viele Christen, die den Bombenanschlag in der St.-Theresa–Kirche von Weihnachten 2011 in Madalla überlebt haben, kommen heute mit ihrem Schicksal gut zurecht. Doch selbst bei ihnen sind die Wunden noch sichtbar. CSI-Redaktionsleiter Reto Baliarda sprach in Madalla mit Überlebenden.

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Mit dem Auto ist Madalla nur etwa eine halbe Stunde von Nigerias Hauptstadt Abuja entfernt. Die Kleinstadt befindet sich im Bundesstaat Niger, wo das islamische Gesetz, die Scharia, gilt. In Madalla leben viele Muslime. Gleichzeitig gibt es auch aktive christliche Gemeinden. Letzteres wird beim Anblick der St.-Theresa-Kirche ersichtlich. Nachdem ein Boko-Haram-Terrorist am 25. Dezember 2011 einen Sprenggürtel gezündet und 44 Gläubige mit in den Tod gerissen hatte, wurde die Kirche nach langer Trauerphase wieder aufgebaut.

Heute ist die Kirche rundherum von einer hohen Mauer umgeben. Der Eingang zum Areal wird streng bewacht. Die einst zerstörte Kirche wurde beim Wiederaufbau vergrößert. «Der Terroranschlag hat letztlich dazu geführt, dass noch mehr Menschen zum Glauben gefunden haben», erklärt Pater Michael, der sich als Beauftragter der Diözese von Minna seit der ersten Stunde um die Opfer des Attentats kümmert. Jeden Sonntag würden mehrere hundert Christen den Gottesdienst besuchen.

Auch die Schule im Areal konnte erweitert werden. Neben der Primarschule ist nun auch eine Sekundarschule entstanden. Der Computerraum nebenan ist mit Rechnern ausgestattet, die von CSI finanziert wurden. Der junge Lehrer Francis Ipheal erklärt, dass sowohl die Primar- als auch die Sekundarschule hier unterrichtet werden und sie sich dabei vor allem Kenntnisse für die Anwendung des Computers aneignen.

Ehemaliges Opfer unterrichtet Mathematik

Eine junge Frau betritt den Computerraum. Es ist die 25-jährige Helen Okolo, die in der St.-Theresa-Schule als Mathematiklehrerin arbeitet. Helen bewegt sich vorsichtig und langsam, sie erzählt: «Nach dem Anschlag lag ich 24 Stunden im Koma. Erst nachdem ich aufgewacht war, realisierte ich, was geschehen war.» Vier Monate musste sie im Spitalbett verbringen und konnte sich dabei kaum rühren. Danach musste sie lernen, sich im Rollstuhl fortzubewegen. Die willensstarke Frau machte schnell Fortschritte und konnte nach einiger Zeit den Rollstuhl gegen Krücken austauschen. «Heute kann ich wieder ohne Unterstützung gehen», freut sich Helen, die im schweren Unglück auch das Glück sieht: «Ich war mit dem zweiten Kind schwanger, als das Attentat geschah.» Die Tochter kam gesund zur Welt. Ihr Ehemann und Sohn waren unverletzt geblieben.

Vollkommen geheilt ist die junge Lehrerin indes nicht. Auf ihrem Rücken sind immer noch Brandwunden sichtbar. Ein Bombensplitter steckt nach wie vor in ihrem Kopf. Damit muss sie vorläufig leben. In Nigeria gibt es kein Spital, in dem man den Splitter entfernen könnte.

Martin vermisst seinen Vater

Mittlerweile haben sich einige Schüler im Raum eingefunden. Unter ihnen sind auch die Geschwister Martin (16) und Favour (13) Dike. Martin ist freundlich und drückt sich in gutem Englisch aus. Narben des Anschlags sind vor allem auf seinem Gesicht noch erkennbar. «Ich erlitt schlimme Verbrennungen. Manchmal spüre ich im Gesicht heute noch Schmerzen», sagt er leise. Doch noch größer ist bei ihm die seelische Verletzung. Martin verlor durch das Attentat von einem Augenblick auf den andern drei Geschwister und seinen Vater. Der 16-Jährige vermisst seinen Vater schmerzlich. Deshalb verspürt er manchmal noch Wut gegen den Attentäter. Trotz des Schmerzes blickt der tiefgläubige Jugendliche nach vorne. Martin ist ein guter Schüler, spielt gerne Badminton und möchte einmal Medizin studieren.

Auch seine Schwester Favour will Ärztin werden. Wie ihr Bruder stellt auch sie sich tapfer den erschwerten Lebensumständen. Die Brandverletzungen an ihren Knien sind zwar noch sichtbar. Doch zum Glück sind die Schmerzen soweit abgeklungen, dass sie ihre Lieblingssportart Fußball begeistert ausüben kann. Chioma Dike, die Mutter von Favour und Martin, blieb als Einzige unverletzt und führt mit CSI-Unterstützung das Geschäft ihres Ehemanns weiter (Magazin vom Februar 2016).

Unterstützung erhält die Familie Dike auch von Pater Raphael. Er wurde in der Kirche St. Theresa nach dem Anschlag als Geistlicher eingesetzt, weil sich der damalige Pfarrer nicht mehr imstande sah, weiterzumachen. «Am Anfang war es für mich eine große Herausforderung, eine Gemeinde zu übernehmen, die einen derart verheerenden Bombenanschlag verkraften musste. Doch ich bin dankbar, dass heute wieder viele Menschen in die Kirche kommen.» Gerade in der Weihnachtszeit kehre die Angst vor einem erneuten Anschlag zurück. Auch die lokale Behörde ist dann alarmiert. Deshalb lässt sie vor Weihnachten die Kirche noch strenger bewachen.

Vitalis lässt sich nicht behindern

In der Kirche haben sich alle überlebenden Christen versammelt, die von CSI beim Wiederaufbau ihrer Lebensgrundlage unterstützt werden. Einer der dankbaren Gruppe ist Vitalis Ugokwe, der wie sein Sohn schwere Verletzungen davontrug. Auch fünf Jahre später kann er zu Fuß nur kurze Distanzen mit einem Stock bewältigen. Stehen fällt ihm schwer. Die Funktion seiner Hände ist ebenso eingeschränkt. «Durch die Explosion wurde mein Rücken so schwer verletzt, dass ich heute mit Lähmungen zu kämpfen habe.» Vitalis‘ starker Glaube hilft ihm, dass er auch mit den Bewegungseinschränkungen ein Elektrogeschäft mit zwei Angestellten führen kann. Außerdem hat er die Beleuchtungsanlage auf dem Friedhof neben der Kirche, wo rund 30 Opfer des Anschlags begraben sind, eigenhändig installiert. Der vierfache Familienvater hatte nach dem Anschlag seine Stelle beim Staat verloren. Sein eigenes Geschäft brach ein. Nachdem er einen Mikrokredit erhalten hatte, ging es wieder bergauf. Er hat heute in seinem Elektrobetrieb zwei Personen angestellt.

Geschäftsideen erfolgreich umgesetzt

Einige Kilometer außerhalb der Kirche besuchen wir in der benachbarten Stadt Kwakwashe das Geschäft von Mary Ejimofor. Durch das Attentat verlor sie ihre beiden Töchter. Ihr Sohn wurde am Rücken ernsthaft verletzt. «Heute geht es ihm wieder ziemlich gut», meint sie trotz allem zuversichtlich. Mary und ihr Mann blieben unverletzt. Die tüchtige Frau ist eine mutige Kämpferin, die es sich nach dem schlimmen Ereignis zutraute, mit Unterstützung von CSI ein Elektrogeschäft zu eröffnen. Stolz präsentiert sie uns ihren Laden und drückt dabei ihre große Dankbarkeit gegenüber CSI aus.

Im Nähatelier von Maria Odobougo werden wir von deren Verwandtschaft empfangen. Ihr Ate­lier, das die Bekleidungsgestalterin ebenfalls mit Unterstützung von CSI aufbauen konnte, läuft sehr gut, vor allem vor den Festtagen. Eines ihrer Erfolgsrezepte ist, dass sie nebst dem Verkauf auch Kleider von Kundinnen näht. Zudem stellt sie ihre Nähmaschinen für die Kundschaft zur Verfügung. Maria konnte bereits vier junge Frauen einstellen, die monatlich 80 Dollar erhalten. Die emsige Geschäftsfrau führt uns ihre neue, elektrische Nähmaschine vor, die CSI gesponsert hat. Für Maria selbst ist diese Maschine ein Segen, da sie nicht mehr so viel Kraft in den Beinen hat. Diese waren beim Anschlag vor fünf Jahren schwer verletzt worden. Dank der Hilfe von CSI konnte ihr linkes Bein vor einer Amputation gerettet werden.

Reto Baliarda

 


CSI unterstützt Überlebende beim Kleingewerbe

Das Bombenattentat vom 25. Dezember 2011 in der St.-Theresa-Kirche hatte Tod und Verwüstung gebracht und viele Überlebende in eine wirtschaftliche Not gestürzt. CSI unterstützt etwa 20 Gläubige, die nach dem Anschlag ein Kleingewerbe gestartet haben. Gemeinsam wurden Ideen entwickelt, wie sie eine neue Existenz aufbauen können. Mit einer finanziellen Starthilfe haben die Betroffenen die Geschäftsideen umgesetzt.

 

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