25. September 2019

 Neue Website zeigt religiöse Dimension der eskalierenden Gewalt auf

Nigeria hat sich in den letzten Jahren zu einem Schwerpunktland von CSI entwickelt – leider. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas ist zu einem Brennpunkt religiöser Gewalt geworden, der weit über Nigeria hinausstrahlt. Wir klären mit einer neuen Website auf. Hier der erste Teil der Einführung von CSI-Geschäftsführer John Eibner.

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Die neue Website von Christian Solidarity International – www.nigeria-report.org – ist eine Plattform für die fachkundige Diskussion über die verschiedenen Aspekte religiöser Gewalt in Nigeria und für die Präsentation von Empfehlungen an die Politik, wie diese Gewalt überwunden werden kann. Es ist die Absicht von CSI, insbesondere Stimmen der nigerianischen Zivilgesellschaft Raum zu geben, ungeachtet ihrer religiösen oder ethnischen Identität. Diese Stimmen werden gegenwärtig aus­serhalb von Nigeria kaum wahrgenommen.

Der Respekt für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist ein Gründungspfeiler von CSI. Die Gespräche auf der neuen Website werden im Geiste dieses internationalen Instrumentes geführt. Die jeweiligen Autoren äussern ihre persönlichen Ansichten; sie stimmen nicht notwendigerweise mit jenen von CSI überein.

Gewalt hat starken religiösen Bezug

Warum ist diese Website notwendig? Weil die religiöse Gewalt in Nigeria viel komplexer ist als die grob vereinfachenden und die Religion ausklammernden Darstellungen, die gegenwärtig in westlichen Thinktanks und Medien mit engsten Verbindungen zu Regierungsstellen so populär sind. Oft porträtieren sie Boko Haram im Nordosten Nigerias als eine isolierte Terror-Bande auf der Flucht und die weitverbreitete Gewalt der Fulani in Zentralnigeria als einen lediglich lokalen Konflikt zwischen Nomaden und Bauern. Die im Religiösen verwurzelte politische Ideologie wird oft missverstanden oder fehlt gänzlich.

Die eskalierende religiöse Gewalt beeinträchtigt eine immer grössere Anzahl Nigerianer, schwächt den ohnehin schon fragilen Bundesstaat, bedroht die Stabilität von Nigerias Nachbarn und öffnet Tür und Tor immer weiter für internationale Terrornetzwerke. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas – reich an Rohstoffen, multi-ethnisch und zu ungefähr gleichen Teilen vorwiegend muslimisch im Norden und vorwiegend christlich im Süden – steuert dem Status eines gescheiterten Staats entgegen. Das hat fürchterliche Konsequenzen für die Menschen in Westafrika und darüber hinaus.

Die Nigerianer haben für den Anstieg der religiösen Gewalt einen hohen Preis bezahlt. Zehntausende wurden im letzten Jahrzehnt getötet. Über drei Millionen Menschen sind gegenwärtig auf der Flucht. Recht und Ordnung brechen in weiten Landesteilen zusammen. Der Schaden für die Lebensmittelversorgung und die Anzahl vernichteter Existenzgrundlagen sind nicht bezifferbar. Millionen von Zivilisten, die in den Konflikt hineingeraten sind, leiden an Hunger und Krankheiten. Die Sklaverei ist zurückgekehrt.

In den urbanen Zentren wie Lagos und Abuja scheint das Leben für den Grossteil der Bevölkerung wie gewohnt weiterzugehen. Obwohl Armut, Korruption und der alltägliche Kampf ums Überleben schwer auf den Einwohnern dieser Städte lastet, sind Anzeichen religiöser Gewalt – zumindest an der Oberfläche – nicht sichtbar. Doch in anderen Gebieten sieht die Situa­tion völlig anders aus.

Boko Haram: Kampf gegen Ungläubige

Die berüchtigte dschihadistische Armee, genannt Boko Haram – der westafrikanische Zweig des Islamischen Staats –, richtet im Nordosten Nigerias ein Chaos an. Sie verbreitet sich von ihrer Hochburg im Bundesstaat Borno in weitere Landesteile aus sowie in die Nachbarstaaten Niger, Tschad und Kamerun. Boko Haram steht in unversöhnlicher Opposition zum nigerianischen Staat, ganz zu schweigen von den USA und allen anderen Regierungen der internationalen Staatengemeinschaft.

Boko Haram ist zu einem gros­sen Teil vom wahhabitisch geprägten Dschihad des Fulani-Predigers Usman dan Fodio aus dem frühen 19. Jahrhundert inspiriert. Fodio hatte auf den Trümmern der sieben Hausastaaten das Kalifat von Sokoto gegründet. Gleichzeitig ist Boko Haram stark in den Sehnsüchten des bislang vernachlässigten Kanuri-Volkes verwurzelt, und so besteht das ultimative Ziel von Boko Haram in der Wiedererrichtung eines islamischen Staates in den Stammlanden der Kanuri im Nordosten Nigerias.

Boko Haram hat nicht nur Christen und andere Nichtmuslime im Visier. Die Dschihadisten bekämpfen auch Muslime, die das islamische Gesetz der Scharia nicht streng beachten, und insbesondere jene, die von der westlichen Kultur beeinflusst sind. Die medienwirksame Entführung von 276 christlichen und muslimischen Schülerinnen in Chibok, Bundesstaat Borno, im Jahr 2014 und ihre erzwungene Umwandlung in – die Scharia beachtenden – Sexsklavinnen widerspiegelte nicht nur Boko Harams Abscheu gegen Christen, sondern auch ihren wahhabitisch geprägten Hass auf Muslime, die westliche oder heidnische Praktiken übernommen haben. Boko Haram betrachtet solche Muslime – wie die Christen – als Ungläubige (Kuffar), die getötet oder versklavt werden dürfen.

Fulani-Milizen: Vertreibungskampf

Milizen aus dem Stamm der Fulani sind die Haupttriebkräfte der religiösen Gewalt in Zentralnigeria, vor allem in den Bundesstaaten Benue, Plateau, Adamawa, Nasarawa, Taraba und Kaduna. Ebenso wie Boko Haram sind auch sie vom Dschihad und dem Kalifat ihres Fulani-Stammesgenossen Usman dan Fodio inspiriert. Die beträchtliche Zahl der Todesopfer und die grossflächige Verwüstung, die von den Fulani-Terroristen verursacht werden, machen im Westen kaum Schlagzeilen. Dabei hält der Global Terrorism Index fest: «Die den Fulani-Extremisten zugeschriebenen Todesopfer sind gemäss Schätzungen allein im Jahr 2018 sechsmal so zahlreich wie die Todesopfer von Boko Haram.» Anders als Boko Haram haben die Fulani-Milizen nicht die nigerianische Regierung im Visier oder die Interessen der westlichen Staaten. Sie haben auch keine langjährige Tradition von Gewalt gegen andere Muslime, wenn es auch manchmal Viehdiebstähle innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft gibt.

Die Übergriffe der Fulani auf Dörfer, die Zerstörung von Ernten und Entführungen richten sich tendenziell gegen christliche und traditionalistische Dorfbewohner mit dem Ziel, sie von ihrem Land zu vertreiben und es zu besetzen. Die Fulani-Milizen benützen die Ideologie und die Sprache des Dschihad von dan Fodio, um den Landraub zu legitimieren.

Diese islamistischen Fulani-Milizen üben ihre Gewalt in der Regel ungestraft aus. Die von Amerika und Grossbritannien unterstützte nigerianische Armee – die grösste in Afrika und zudem ein wichtiger Teilnehmer an vielen internationalen Friedensmissionen – ist unfähig oder nicht willens, den Fulani-Milizen entgegenzutreten. Auch wenn sie in den westlichen Medien kaum vorkommen: Die Fulani-Milizen gehören zu den tödlichsten Terrorgruppen weltweit.

Dr. John Eibner

 

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