25 Jahre Sklavenbefreiung – Gunnar Wiebalck blickt zurück

Der ehemalige CSI-Projektleiter Gunnar Wiebalck ist über 110 Mal in den Sudan/ Südsudan gereist. Oft legte er Dutzende Kilometer zu Fuss zurück, um Dörfer zu besuchen, aus denen kurz zuvor Bewohner verschleppt worden waren. Aus den mehreren tausend Begegnungen mit befreiten Sklaven sticht für ihn jene mit dem erblindeten Jungen Ker hervor.

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Gunnar Wiebalck ist in seinem Element, wenn er über seine Erfahrungen im Sudan / Südsudan spricht. Die ersten Jahre seiner langjährigen Tätigkeit bei CSI hatte er vor allem dem Konflikt um die armenische Exklave Bergkarabach gewidmet. «Ich hätte damals nicht geglaubt, dass noch etwas Aufwühlenderes auf mich zukommen würde. Doch ich hatte mich geirrt», gesteht er im Hinblick auf die Sklavenbefreiung im Sudan.

CSI hilft Einheimischen bei Sklavenbefreiung

Schon bevor CSI-Mitarbeiter zum ersten Mal ihren Fuss auf sudanesischen Boden setzten, seien die ersten südsudanesischen Sklaven befreit worden, erklärt Gunnar. 1995 stiess sein damaliger Arbeitskollege und heutiger CSI-Geschäftsführer John Eibner auf arabische Sklavenbefreier, die im Auftrag von Verwandten eindeutig identifizierte Sklaven freikauften.

Die finanzielle Unterstützung von CSI erlaubte es dann, Sklaven in grossem Massstab in ihre Heimat zurückzuholen. Wenn die Befreiung einvernehmlich erfolgte, erhielten die Sklavenhalter Geld, später Impfstoff für ihr Rindvieh. So wird es auch heute noch gehandhabt.

Anzahl befreiter Sklaven nimmt zu

Gunnar Wiebalcks erste Sudanreise fand 1995 statt. Danach war er an jeder Sklavenbefreiung dabei, bis im Januar 2013 Franco Majok das Projektmanagement übernahm. «Insgesamt reiste ich für CSI über 110 Mal in den Sudan, um befreite Sklaven zu empfangen und deren Schicksal zu dokumentieren.» Während John Eibner die Hauptverantwortung für das Projekt trug, war Gunnar Wiebalck für die Koordination der humanitären Hilfe und die Reiseorganisation zuständig. Mehrmals wurde das CSI-Team von Journalisten begleitet, die teils für international bekannte Medienhäuser wie BBC oder ZDF arbeiteten.

Dass die Anzahl befreiter Sklaven stetig wuchs, lag auch am zunehmend professionelleren Vorgehen der Befreier, die bei ihren Aktionen vielfach grosse Risiken eingingen. Zwischen den Jahren 2000 und 2003 seien jeweils rund 2000 ehemalige Sklaven auf einmal aus dem Sudan zurückgekehrt. In dieser Zeit hat Gunnar Wiebalck Tausende von Sklavenporträts mit der Videokamera festgehalten. Es hätte viel zu lang gedauert, jeden einzelnen befreiten Sklaven zu fotografieren, wie dies heute der Fall ist. In den darauffolgenden Jahren nahm die Anzahl wieder ab. Aktuell werden pro CSI-Befreiungsaktion 150 bis 200 Sklaven zurückgeführt. Insgesamt konnten dank CSI schon über 100 000 Sklaven befreit werden.

Besuch von kurz zuvor überfallenen Dörfern

Auf seinen zahlreichen Projekt­reisen war Gunnar Wiebalck fast immer mit John Eibner unterwegs. Zusammen mit einem einheimischen Begleiter übernachteten sie in Zelten und marschierten bis zu 80 Kilometer, um Dörfer zu erreichen, die unmittelbar zuvor von islamistischen Milizen überfallen worden waren. «Die meisten jungen Männer waren dabei umgebracht worden, während Frauen und Kinder verschleppt und später versklavt wurden.» So seien vielfach nur die älteren Bewohner zurückgeblieben, erklärt der ehemalige CSI-Mitarbeiter.

Manchmal sah das CSI-Team von weitem noch den Rauch von brennenden Häusern oder auch frische Spuren von Pferden der Entführer, wenn es sich jeweils einem überfallenen Dorf näherte.

So dramatisch die Art und Weise dieser Projektbesuche auch klingen mag: Wirklich gefährlich seien diese Einsätze nicht gewesen, so Gunnar: «Einheimische lotsten uns nicht nur zu den überfallenen Dörfern, sondern beschützten uns auch sehr gut. Sie wussten, welche Wege sicher waren.» Wohl schauderte es ihn, wenn er auf dem Weg zu einem überfallenen Dorf an Leichen von getöteten Kämpfern vorbeiging. Doch sei es nie zu einer direkten Feindberührung gekommen. «Wir kamen immer hinterher.»

Eindrücklichstes Erlebnis

Der ehemalige CSI-Projektleiter ist Zehntausenden von befreiten Sklaven direkt begegnet. Welches war für ihn die eindrücklichste Begegnung? Da braucht er nicht lange zu überlegen: «Es war die Begegnung mit dem damals elfjährigen befreiten Sklavenjungen Ker Aleu Deng. Dass Ker blind war, bemerkte ich erst, als ich ihn fotografierte und er nicht in die Kamera blickte.»

Kers Blindheit war die Folge einer bestialischen Foltermethode während seiner Versklavung. Der Junge wurde von seinem Sklavenhalter an den Füssen über ein Feuer gehängt. «Durch die Hitze und den Rauch verlor Ker das Augenlicht.»

Wie Gunnar weiter berichtet, konnte Ker eine gute Schule besuchen und operiert werden. Er bleibt schwer sehbehindert, lebt aber nun in Sicherheit.

Kaum zu ertragen

Gunnar Wiebalck hatte auch viele schmerzliche Erinnerungen an seine Sudan-Reisen. Am schlimmsten war es für ihn, sich damit abfinden zu müssen, dass viele befreite Sklaven traumatisiert, mit verstümmelten Gliedmassen oder auch Faulstellen am Körper zurückkamen, aber längst nicht allen direkt geholfen werden konnte. «Es hat mich beinahe erschlagen, zu hören, was diesen Menschen alles zugestossen war und dass wir nicht allen helfen konnten.» Alle Sklaven wurden medizinisch untersucht, doch die kostspieligen Operationskosten konnte CSI nur in besonders schweren Härtefällen übernehmen.

Belastend war auch, all die geknickten Frauen zu sehen, die während der Sklaverei brutal vergewaltigt worden waren. Zudem musste Gunnar mit der traurigen Tatsache fertig werden, dass trotz all den Befreiungen Tausende von südsudanesischen Sklaven durch ihre Gebieter umgebracht worden waren.

«Meine erfüllendste berufliche Zeit»

Als Höhepunkt seiner vielen Sudan-Reisen bezeichnet Gunnar das Friedensabkommen von 2005. Dieses beendete die Sklavenjagden und legte die Grundlage für die Unabhängigkeit des Südsudans. Im selben Atemzug nennt er die Unabhängigkeitsfeier des Südsudans 2011, bei der er zusammen mit John Eibner als Ehrengast teilnahm.

Was hat Gunnar Wiebalck motiviert, über 110 Mal in den Sudan / Südsudan zu reisen, um Sklaven zu befreien? «Es war die Möglichkeit, helfen zu können», entgegnet er schlicht. Zudem bestand auf den Reisen stets eine tolle Zusammenarbeit mit John. «Wir konnten uns zu 100 % aufeinander verlassen.»

Seine letzte Südsudanreise im Januar 2013 ging Gunnar nahe. In all den Jahren sind viele tiefe Freundschaften mit Partnern aus dem Südsudan entstanden. Dazu gehören vor allem der langjährige CSI-Arzt Dr. Luka Deng und der treue Projektmitarbeiter Akuei.

Gunnars Erinnerungen an die Südsudan-Reisen sind heute noch sehr lebendig. «Im Südsudan habe ich meine erfüllendste berufliche Zeit überhaupt verbracht», betont er. «Ich durfte immer wieder erfahren, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.»

Reto Baliarda

 

Weiterer Bericht

«Die Sklaverei war Teil des Dschihad»


Wichtige Daten

  • 1983: Ausbruch des Zweiten Sudanesischen Bürgerkriegs: der sudanesischen Zentralregierung gegen die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) im Süden (endet 2005)
  • 1989: Diktator Omar al-Bashir ergreift mit einem Militärputsch die Macht (wird 2019 vom Militär abgesetzt)
  • 1995: Erste Sklavenbefreiung von CSI (inzwischen wurden mehr als 100 000 befreit; die Befreiungsaktionen dauern an)
  • 2005: Umfassendes Friedensabkommen zwischen der sudanesischen Regierung und der SPLA
  • 2011: Unabhängigkeit des Südsudan, nachdem beinahe 100 % der Bevölkerung dieser zustimmte

 

Empfohlene Lektüre: 

Daniel Gerber: Fünfzehn Dollar für ein Leben

 

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