«Die Not der Menschen fordert mich zum Handeln auf»

Pater John Bakeni leitet die humanitäre Arbeit der katholischen Diözese Maiduguri. In diesem nordöstlichen Gebiet verbreiten Boko-Haram-Islamisten seit Jahren ihren Terror. Bakeni scheut sich nicht, die Verantwortlichen für die Misere anzuklagen. Noch wichtiger ist es ihm aber, den religiös verfolgten Menschen Hoffnung zu schenken.

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Nicht ohne Schwermut erinnert sich Bakeni an die Zeit, in der er den nordöstlichen Staat Borno sein friedvolles Zuhause nannte. Es bestand ein herzliches Verhältnis zwischen Christen und Muslimen. Handkehrum wurden die Christen schon vor der Zeit von Boko Haram immer wieder diskriminiert, vor allem in wirtschaftlichen, sozialen und politischen Belangen. Doch es gab noch keine offene, aktive Gewalt.

Übergriffe schon in den 80er Jahren

Mit dem Aufstieg der Maitatsine-Bewegung, die aus dem Umfeld des gleichnamigen islamistischen Predigers entsprang, spitzte sich die Lage der Christen ab 1982 in Maiduguri zu. «Zum einen wurde es den Christen zunehmend verwehrt, Kirchen zu bauen. Zum anderen wurden sie bei Jobangeboten benachteiligt.» Auch sporadische Übergriffe auf Christen oder die Entführung und Zwangsverheiratung von christlichen Mädchen fallen in diese Zeit, so Bakeni. «Seither sind wir Zeugen des Anstiegs der Gewalt gegen Christen geworden», so Bakeni.

Mehrheit der Flüchtlinge gemässigte Muslime

Zu Beginn dieses Jahrtausends (2002) machte Boko Haram zum ersten Mal mit terroristischen Anschlägen auf sich aufmerksam. Heute ist die islamistische Terrorgruppe dafür hauptverantwortlich, dass im Bundesstaat Borno über zwei Millionen Menschen verjagt wurden. Alleine in Maiduguri leben eine Million Vertriebene, sei es in einem der 20 Binnenflüchtlingslager oder in Gemeinschaften, in denen sie untergebracht sind. Dabei fügt Bakeni an: «Die meisten dieser Flüchtlinge sind gemässigte Muslime, die die Ideologie von Boko Haram nicht teilen. Sie gehören genauso zum Feindbild der Islamisten wie Christen.»

John Bakeni sieht heute zwar Fortschritte in Sachen Sicherheit, wenn er sie mit jener vor einigen Jahren vergleicht. Gewiss sei die Lage besser als beispielsweise 2014, als tausende von Christen in ihren Dörfern getötet oder auch in der Stadt Chibok 276 christliche Mädchen aus einem Internat entführt wurden.

Dennoch kommt es nach wie vor zu tödlichen Übergriffen. In Maiduguri selbst sei es zwar relativ ruhig, obwohl Boko-Haram-Kämpfer immer wieder versuchen würden, in die Stadt einzudringen. Doch nur wenige Kilometer ausserhalb der Stadt begeben sich Menschen in Lebensgefahr. An dieser prekären Lage habe auch die Verlegung der Armeezentrale von der Hauptstadt Abuja nach Maiduguri von 2015 nicht viel geändert. «Es ist immer noch ein langer Weg zum Frieden», hält der Pater fest.

Nicht nur Boko Haram

Auch die Spaltung innerhalb von Boko Haram vor einigen Jahren habe nicht zur Beruhigung der Lage beigetragen. Im Gegenteil: Die daraus hervorgegangenen Gruppen der ISWAP (Islamic State West Africa Province) und die Gruppe desBoko-Haram-Anführers Abubakar Ibn Shekau befänden sich in einem Wettbewerb, um sich in der Brutalität und Grausamkeit zu überbieten. So würden auch beide Gruppen bei ihren Überfällen selbst Frauen und Kinder töten.

Wegen ihrer Nähe zur Terrormiliz IS ist die ISWAP mit besseren Waffen ausgerüstet, bemerkt Bakeni. Und obwohl die islamistischen Fulani-Milizen im Nordosten weniger präsent sind als in anderen Gebieten Nigerias, hätten Recherchen von Nachrichtendiensten ergeben, dass die Fulani Entführungsopfer an Boko Haram und ISWAP verkaufen.

Regierung muss handeln

Sorgen macht sich Bakeni ferner über den Umstand, dass der Konflikt mit den Islamisten schon so viele Jahre andauert. Doch solange die Regierung nicht gewillt sei, die tödlichen Feldzüge der Islamisten zu stoppen, indem sie u.a. das Militär besser ausrüsten würde, rücke ein Ende des Konflikts in die Ferne. «Die Regierung muss sich darauf besinnen, wofür sie gewählt wurde», betont Bakeni. Ebenso wünscht er sich, dass die internationale Gemeinschaft mehr Druck auf Nigerias Regierung ausübt und sie konsequent zur Rechenschaft zieht, wofür sie die zur Verfügung gestellten Gelder ausgeben würde. Auch sollten moderne Technologien für die Sicherheit der Bevölkerung eingesetzt werden.

Früchte der Zusammenarbeit mit CSI

Auch wenn John Bakeni selbst noch nie von Islamisten angegriffen wurde, weiss er nur allzu gut, wie sehr die Christen insbesondere im Nordosten Nigerias ums Überleben kämpfen müssen. Dabei sind sie auf die Hilfe Einheimischer und internatio­naler Organisationen wie CSI angewiesen. «Sie sind unsere Quelle der Hoffnung und des Überlebens», bemerkt der Pater. Vom Staat würden sie keine Hilfe erhalten.

Wie Bakeni weiter ausführt, arbeitet die Katholische Diözese von Maiduguri seit sechs Jahren mit CSI zusammen. Durch die vielseitige Unterstützung habe sich das Leben vieler vertriebener Menschen positiv verändert. CSI habe den Betroffenen nicht nur geholfen, indem Nahrungsmittel und Medikamente verteilt oder Kindern der Schulbesuch ermöglicht wurde. Denn darüber hinaus konnten sich etliche Flüchtlinge eine neue Existenz aufbauen, weil sie dank der finanziellen Unterstützung ein Kleingewerbe starten konnten.

Monica Iliya ist eine der zahlreichen Geflüchteten, deren Leben sich nachhaltig verändert hat. Die Witwe und dreifache Mutter haust gegenwärtig in einem katholischen Flüchtlingscamp in Maiduguri.

2019 erhielt sie von CSI eine Anschubfinanzierung, mit welcher sie sich eine Nähmaschine erwarb. Ihre selbst genähten Kleider verkaufen sich so gut, dass sie ihren Kindern ein menschenwürdiges Leben ermöglichen kann. Mittlerweile konnte sie eine zweite Nähmaschine anschaffen. «Monica ist heute nicht nur eine selbständige Frau. Sie hat so viel Selbstvertrauen gewonnen, dass sie anderen Frauen im Lager das Nähen beibringt», so Bakeni, der ein Zitat von Monica zum Besten gibt: «Für mich ist CSI wie ein Vater, eine Mutter und ein Ehemann.»

Motivation für seinen kompromisslosen Einsatz

Das Leiden der Christen und gemässigten Muslime im Nordosten Nigerias veranlasst John Bakeni, sich kompromisslos für sie einzusetzen. Doch woher nimmt er die Motivation? «Ich liebe die Menschen, unabhängig von Rasse, Geschlecht, Nationalität oder Religion. Ich wünsche mir, dass Gerechtigkeit und Frieden die Welt regieren. Als Mensch, aber auch als Christ kann ich doch nicht einfach die Hände in den Schoss legen und mich abwenden, während mein Volk diskriminiert, bedrängt und getötet wird. Ich bin dazu berufen, mich mit ganzem Herzen für die verfolgten Christen in Nigeria einzusetzen. Nur wenn es Frieden und Gerechtigkeit gibt, ist eine langfristige Entwicklung möglich, sodass die Menschen ihr Potenzial einsetzen können, das Gott ihnen gegeben hat.»

Reto Baliarda

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Vielseitiges Engagement

Pater John Bakeni amtet gegenwärtig als Generalsekretär und Koordinator für humanitäre Einsätze der Diözese Maiduguri im Nordosten Nigerias. Zudem ist er Sekretär der Kommission für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden in Maiduguri. Bakeni studierte Philosophie im Priesterseminar von Makurdi (Bundesstaat Benue), das er 1997 mit dem Bachelor abschloss. Anschliessend studierte er Theologie in Jos (Bundesstaat Plateau) und in Rom, wo er mit seiner Arbeit über interreligiösen Dialog doktorierte. Bakeni besitzt auch ein Schweizer Zertifikat über Konflikt-Management und Mediation.

Pater John Bakeni hat auf der CSI-Website www.nigeria-report.org einen Kommentar (englisch) über die Sicherheitslage im Nordosten geschrieben.

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