Schutz von christlichen Mädchen vor religiöser Verführung

Die ägyptische Akademikerin und Journalistin Mariz Tadros arbeitet eng mit CSI zusammen, wenn es um die Rechte und den Schutz von christlichen Frauen in ihrem Heimatland und auf der ganzen Welt geht. Tadros beschäftigt sich insbesondere mit dem Phänomen des ideologisch motivierten Verführens (Grooming) von christlichen Mädchen und verheirateten Frauen.

A woman runs in front of the Basilica Church of Heliopolis in the first Egyptian womens‘ race, to raise awareness about violence against women, in Cairo

CSI: Sie beschäftigen sich seit Jahren mit der Lage der Frauen in Ägypten und insbesondere mit dem Verschwinden ausgebeuteter christlicher Mädchen.

Mariz Tadros: Ja, leider kommt es in Ägypten immer wieder vor, dass junge Christinnen aus ihrem familiären Umfeld verschwinden. In den meisten Fällen sind sie mit muslimischen Männern zusammen, die sie kennen, also nicht mit völlig Fremden.

Diese Frauen wurden also nicht gewaltsam verschleppt?

In den meisten Fällen nicht. ­Vielmehr gewann der Mann die Zuneigung und das Vertrauen des Opfers durch liebevolle Worte und das Versprechen auf ein gutes gemeinsames Leben. Befreite Christinnen haben mir erzählt, dass sie getäuscht wurden.

Inwiefern?

Die Täter sagen, dass sie sie lieben würden. Sie versichern dem Mädchen oder der Frau, dass sie durch die Heirat eine bessere Zukunft haben werden und dass sie weiterhin Christinnen sein könnten, ohne sich zum Islam bekehren zu müssen. Wir nennen diese Art der Verführung «Grooming». Nach aussen hin erweckt sie den Eindruck einer einvernehmlichen Beziehung. Das Opfer erkennt zunächst nicht, worauf es sich eingelassen hat.

Wann wird aus der vermeintlichen Liebe bitterer Ernst für das Mädchen?

Oft schon nach dem ersten intimen Kontakt. Nicht selten wird das Opfer durch Einschüchterung dazu gebracht, als Voraussetzung für die Ehe zu konvertieren. Andernfalls droht dem Mädchen Gewalt oder ­Entblössung, im schlimmsten Fall der Tod. Ebenso wird dem Opfer gedroht, dass seine Familie von der Heirat und dem Übertritt zum Islam erfährt und es deshalb umbringen wird.

CSI-Geschäftsführer Simon Brechbühl und Mariz Tadros: Gemeinsam für Religionsfreiheit und Menschenrechte einstehen. csi
CSI-Geschäftsführer Simon Brechbühl und Mariz Tadros: Gemeinsam für Religionsfreiheit und Menschenrechte einstehen. csi</p> <p>

Sie erwähnen das «Grooming» von jungen Mädchen im Zusammenhang mit religiösen Minderheiten, warum?

Bei Minderheiten wie den Christen, die in Ägypten etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, kommt zum einen die Zwangskonversion hinzu. Zum anderen wird die Absicht des Täters, eine Christin zu verführen und zu bekehren, von der breiten Gesellschaft und oft auch von religiösen Institutionen unterstützt. Ausserdem ist es Muslimen erlaubt, eine Christin zu heiraten, aber nicht umgekehrt.

Schliesslich bringen viele Frauen, die jahrelang gefangen gehalten werden, Kinder zur Welt, die nach den Gesetzen des Landes Muslime sind. Den Vätern wird im Falle einer Trennung das Sorgerecht zugesprochen. Viele betroffene Frauen bleiben bei ihrem «Mann», weil sie ihre Kinder nicht verlassen wollen.

Die Schaffung eines Gefühls des Sieges für die religiöse Mehrheit und die Demütigung der Minderheit spielen eine wichtige ­Rolle beim «Grooming». In einigen Fällen wird die Konversion einer Frau sogar gefeiert, indem sie ihrer ursprünglichen Religionsgemeinschaft vorgeführt wird. Die Botschaft ist klar: Die Christen haben eine Frau verloren, die nicht mehr zu ihrer Gemeinschaft gehört.

Aus diesen Gründen ist es für eine Christin in Ägypten schwierig, einer muslimischen Zwangsehe zu entkommen.

Sie haben erwähnt, dass eine betroffene Christin von ihrer eigenen Familie getötet werden könnte, wenn es ihr gelingt zu entkommen.

Das sind Extremfälle, aber die Angst, von der eigenen Familie wegen der verletzten Ehre verstossen zu werden, ist bei den betroffenen Mädchen vorhanden und macht die Flucht aus einer Zwangsheirat nicht leichter. Die Hilflosigkeit wird vom «Ehemann» schamlos ausgenutzt. Ich habe mit missbrauchten Mädchen gesprochen, die nach ihrer Befreiung von ihrer ursprünglichen Gemeinschaft gemieden wurden. Das hat ihre Hoffnung auf Heilung zerstört.

Aber auch die Eltern von gefährdeten christlichen Mädchen sind von Angst betroffen. Es kommt vor, dass Väter ihre Töchter aus Angst vor Entführung von der Schule nehmen.

Was empfehlen Sie christlichen Eltern in Ägypten, die sich Sorgen um ihre Tochter machen oder sie durch eine religiös motivierte Verführung verloren haben?

Ich würde diesen Familien dringend raten, zu ihren Töchtern zu stehen, egal was passiert ist. Im Falle einer Entführung sollten sie die Behörden einschalten, bis ihre Mädchen gerettet sind. Wenn die Familie und ihr christliches Umfeld eine entführte Tochter in Liebe wieder aufnimmt, anstatt sie als Schande zu betrachten, erhöht dies die Chance, dass sich das Mädchen aus den Fängen seines Peinigers befreien kann.

Eine Haltung der Liebe und des Verständnisses stärkt auch die gesamte christliche Gemeinschaft in Ägypten, macht sie weniger angreifbar und bietet auch Schutz für gefährdete Mädchen.

Müssen sich die religiösen Verführer vor Gericht verantworten?

Nur wenn wir glaubhaft machen können, dass das Verschwinden einer Frau mit einem ihr bekannten Mann sowie ihre Heirat und Konversion nicht bedeuten, dass die Bedingungen für eine freie Entscheidung gegeben sind. Mit anderen Worten, was einvernehmlich erscheint, ist es nicht immer. Wir brauchen alle – die Verfechter der Frauenrechte, die Justiz, die Medien und die Befürworter der Religions- und Weltanschauungsfreiheit – um zu verstehen, dass «Grooming» real und sehr gefährlich ist.

Reto Baliarda

 

Mariz Tadros ist Professorin für Politik und Entwicklung an der Universität von Sussex. Sie ist zudem Mitglied des internationalen CSI-Beirats. csi
Mariz Tadros ist Professorin für Politik und Entwicklung an der Universität von Sussex. Sie ist zudem Mitglied des internationalen CSI-Beirats. csi
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