«Die Schweiz tut nicht genug!»

Seit letztem Dezember blockiert Aserbaidschan den Zugang zur armenisch besiedelten Region Berg-Karabach. Einer, der sich vehement für die belagerten Karabach-Armenier einsetzt, ist der Solothurner Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (Die Mitte).

Am 27. Februar 2023 demonstrierte Müller-Altermatt gemeinsam mit Marc Jost (EVP), Andreas Gafner (EDU), Lilian Studer (EVP), Nik Gugger (EVP), Nicolas Walder (Grüne), Denis de la Reussille (PdA) und Christine Badertscher (Grüne) auf dem Bundesplatz. csi

CSI: Sie kämpfen an vorderster Front für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen in der armenischen Enklave Berg-Karabach. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Stefan Müller-Altermatt: Neben meinen persönlichen Beziehungen nach Armenien sind mir die Menschrechte wichtig. Die christlichen Armenier von Berg-Karabach wurden einst von Stalin der aserbaidschanischen Sowjetrepublik zugeschlagen, wurden dort verfolgt und sollen nun unter der Herrschaft der Verfolger leben. Sie hatten nie auch nur die geringste Chance, in Frieden und Freiheit zu leben. Und wenn man sich dann noch den Völkermord von 1915 und das daraus entstandene Trauma vor Augen führt, dann kann man sich vorstellen, wie dieses Volk unter Angst leidet. Dieser Angst will ich mein Engagement entgegenstellen.

Aserbaidschan blockiert die Versorgungsstrasse nach Berg-Karabach. Tut die Schweiz genug, um diese unsägliche Lage aufzulösen?

Nein. Und wenn man bedenkt, welche Möglichkeiten die Schweiz im Moment hätte, ist das Fazit noch schlechter. Die Schweiz ist Mitglied im UNO-Sicherheitsrat. Sie wäre verpflichtet, gegen Menschenrechtsverletzungen und ethnische Säuberung vorzugehen. Stattdessen schweigt sie und lässt die Chance ungenutzt verstreichen.

Die Migros macht Geschäfte mit der aserischen Energiefirma Socar und finanziert so Aserbaidschans Aufrüstung mit. Müsste man nicht mehr Druck auf die Migros machen?

Die Migros ist leider nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs. Die wirtschaftliche Verknüpfung der Schweiz und Aserbaidschans geht viel weiter: Der Grossteil des aserischen Staatshaushalts wird mit Öl- und Gasverkauf am Platz Genf umgesetzt. Es handelt sich um eine riesige Geldmaschine für den Völkermord. Die Migros ist insofern Steigbügelhalterin für diese Aktivitäten, indem sie mit der Socar-Partnerschaft dieser Firma den Anstrich von Normalität gibt. Deshalb müssen wir hier laut sagen: «Achtung, Socar ist keine normale Firma, tankt nicht dort!» Die Demaskierung ihres Partners ist wohl der beste Druck auf die Migros.

Die Lage für die 120’000 Armenier ist prekär. CSI-Partner Vardan Tadevosyan in Berg-Karabach befürchtet, dass wegen des Mangels an Lebensmitteln und Medikamenten bald Menschen sterben werden. Warum sieht die Weltgemeinschaft schulterzuckend weg?

Der Weltgemeinschaft sind die Armenier nach wie vor egal. Der Krieg in der Ukraine absorbiert die westliche Wertegemeinschaft und schwächt gleichzeitig die armenische Schutz- resp. Besatzungsmacht Russland. Und dann hat Aserbaidschan auch noch Öl und Gas. Da dieses jetzt ohnehin ziemlich rar ist, schaut man halt weg, um den potenziellen Lieferanten nicht zu verärgern.

Wo sehen Sie noch Möglichkeiten, den Karabach-Konflikt in Parlament und Regierung zum Thema zu machen?

Ich habe mit einem Postulat vom Bundesrat eine Eurasien-Strategie verlangt. Diese werde ich mit Nachdruck einfordern. Und sollte sie keine griffigen Massnahmen gegen den Völkermord enthalten – wie humanitäre Hilfe, Intervention im Sicherheitsrat, Sanktionen etc. -, werde ich sicher nachstossen und all dies einfordern.

Daneben laufen immer wieder Gespräche zwischen der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Armenien und dem Aussendepartement. Wir werden nicht müde, die Regierung zu informieren und zu Taten aufzufordern. Das sind wir den Armeniern und der ganzen christlichen Wertegemeinschaft schuldig.

Interview: Rolf Höneisen

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