23. Dezember 2017

Christen in der Ninive-Ebene zwischen Stuhl und Bank

Auch nach dem Abzug der IS-Terroristen kommen viele Christen im Irak nicht zur Ruhe. In Telskuf mussten etliche Rückkehrer-Familien wegen Kämpfen zwischen Kurden und der irakischen Armee kurzzeitig erneut fliehen. Betroffen war auch die Familie von Khaleel Shaaya.

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«Wir Christen zahlen die Zeche für die politischen und religiös motivierten Kämpfe», lautet ein unlängst verfasstes Statement von Kirchenführern im autonomen Kurdengebiet. Und leider bewahrheitet sich dies immer wieder: Am 24. Oktober 2017 brechen rund um die christlichen Dörfer Bakofa und Telskuf Kämpfe zwischen kurdischen Peschmerga-Truppen und der irakischen Armee aus. 900 Familien, die erst vor kurzem aus ihren Zufluchtsorten in Kurdistan in ihre Heimat zurückgekehrt waren, müssen erneut fliehen.

Auch die Familie von Khaleel Shaaya, einem freiwilligen Helfer der irakischen CSI-Partnerorganisation Hammurabi, ist von den Gefechten betroffen. Ihr Schicksal ist typisch für viele Christen im Irak.

Schon vor dem Eroberungsfeldzug des Islamischen Staats (IS) gehörten Drohungen und Angriffe zu Khaleels Leben. Er ließ sich nicht unterkriegen und baute für seine Familie ein Haus in Telskuf, seinem Geburtsort, 30 Kilometer von Mosul entfernt. Am 4. August 2014 wird Telskuf vom IS überrannt. Khaleels Familie gelingt im letzten Moment die Flucht in die kurdische Stadt Dohuk. Zwei Wochen später wird der IS von kurdischen Peschmerga-Einheiten aus Telskuf vertrieben. Doch der Familie von Khaleel bleibt eine Rückkehr in ihr Haus verwehrt. Der Vater von drei Kindern erhält lediglich einige Male kurzen Zutritt in sein Haus. «Bei jedem Besuch fehlte ein zusätzlicher Bestand unserer Einrichtung», klagt er über die sukzessive Plünderung.

Nach einem Angriff durch den IS wird Telskuf am 6. Mai 2016 erneut von den Extremisten besetzt. Innert weniger Stunden werden sie nach heftigen Gefechten mit den Kurden wieder verjagt. Khaleels schlimmste Befürchtungen, dass sein Haus bei den Kämpfen zerstört wurde, treten zum Glück nicht ein. Und im Verlaufe der nächsten Monate scheint sich für die Familie das Blatt endlich zum Guten zu wenden: Im Zuge der Rückeroberung durch die irakischen Armee und die Kurden wird der IS aus der Ninive-Ebene zurückgedrängt.

CSI-Verteilungsaktion in Khaleels Haus

Wohl wegen der veränderten Sicherheitslage erhält Khaleel die Erlaubnis, in sein Haus zurückzukehren. Der freiwillige Mitarbeiter von Hammurabi nutzt dies auch zum Wohl von anderen christlichen Rückkehrern. Wie bereits vor dem IS stellt er im Juni 2017 sein Haus dem Team von CSI und Hammurabi als Basis zur Verfügung. Die beiden Organisationen verteilen in der Folge 262 Wasserreinigungsmaschinen an bedürftige Familien. In der Zwischenzeit sind viele weitere Familien nach Telskuf zurückgekehrt. Zerstörte und beschädigte Häuser werden durch die finanzielle Hilfe von Ungarn und verschiedenen Hilfsorganisationen wieder aufgebaut.

Bleiben trotz Unsicherheit

Nachdem am 25. September im nahegelegenen autonomen Kurdengebiet einseitig für die Abspaltung vom Irak abgestimmt wurde, ist die Lage in Telskuf wieder angespannt. Schließlich kommt es am 24. Oktober zu Zusammenstößen zwischen der irakischen Armee und der kurdischen Peschmerga, unter deren Kontrolle das christliche Dorf steht. Die meisten der 900 Familien, die Telskuf und das benachbarte Bakofa fluchtartig verlassen, lassen einen Angehörigen zurück, der das Haus vor Plünderungen schützt. Auch Khaleel entscheidet sich, alleine im Haus zu bleiben, nachdem er seine Familie sicher nach Dohuk gebracht hat.

Ende Oktober 2017 einigen sich die Kurden und die irakische Armee auf einen Waffenstillstand. Viele geflohene Familien, auch jene von Khaleel, kehren Anfang November nach Telskuf und Bakofa zurück.

Den erneuten Rückkehrern bleibt jedoch die Angst, dass sie wieder zwischen die Fronten von gegnerischen Kampftruppen geraten. Telskuf ist wie zahlreiche andere christliche Ortschaften in der Ninive-Ebene – zum Beispiel Karakosch, Al-Kosch oder Keramles – umstrittenes Gebiet. Obwohl die Ninive-Ebene nicht zum autonomen Kurdengebiet gehört, erhebt die kurdische Regionalregierung Anspruch auf das Gebiet, was wiederum die irakische Zentralregierung in Bagdad nicht akzeptiert. Wie viele andere Christen muss auch Khaleels Familie mit dieser Unsicherheit leben.

Doch allen Widrigkeiten zum Trotz will Khaleel im Irak bleiben. Noch vor der Rückkehr nach Telskuf hatte die Flüchtlingsfamilie in Dohuk konkrete Pläne, auszuwandern. Verwandte im Ausland hatten für sie Anträge für eine Aufnahme in Deutschland, Amerika oder Australien gestellt. Doch die Familie hängt an ihrem Zuhause und der christlichen Gemeinschaft in Telskuf. Schließlich möchte sich Khaleel weiterhin als Freiwilliger von CSI-Partner Hammurabi engagieren und anderen Christen und Minderheiten bei Verteilungsaktionen helfen.

Reto Baliarda

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