02. Februar 2017

Christinnen überleben zwei Jahre IS-Terror – CSI hat sie besucht

Als der IS im August 2014 die Ninive-Ebene einnahm, konnten nicht alle rechtzeitig fliehen. Zwei ältere Christinnen aus Karakosch durchlebten über zwei Jahre den IS-Terror. Bei der Rückeroberung im Oktober 2016 wurden sie von der irakischen Armee befreit. CSI besuchte eine der beiden Frauen.

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Es kommt selten vor, dass sich das Leben über Nacht komplett verändert. Genau das passierte jedoch der 75-jährigen Zarifa, als sie am 7. August 2014 in ihrem Haus in Karakosch erwachte. Karakosch war mit etwa 50 000 Einwohnern die größte christliche Staat in der Ninive-Ebene. Praktisch allen Einwohnern gelang die Flucht, bevor der Islamische Staat (IS) in jener Nacht Karakosch einnahm. «Es war nicht ein einziger Nachbar übriggeblieben», erinnert sich Zarifa, als John Eibner und ich sie besuchen. Für sie war es zu spät und mit ihrem schwerkranken Mann wäre die Flucht ins Kurdengebiet ohnehin kaum möglich gewesen. Er starb am 27. August 2014 – Zarifa durfte nicht an der Beerdigung teilnehmen.

Beschimpfungen und Zwangskonversion

Zarifa zog zu einem Verwandten und Badria, einer anderen älteren Frau, die kaum sehen, hören und gehen konnte. Regelmäßig kamen IS-Dschihadisten und bedrängten den Verwandten, packten ihn am Gürtel und schleiften ihn herum. «Alle Christen in Erbil sind tot», schüchterten sie ihn ein. «Wir haben alle deine Kinder getötet.» Der Mann hatte keinen anderen Kontakt zur Außenwelt als den IS und wusste nicht, dass Erbil gar nicht vom IS beherrscht wurde. Die psychologische Folter setzte ihm zu. Er begann, den Verstand zu verlieren. Eines Tages verschwand er – die beiden Frauen blieben sich selbst überlassen.

Einmal kamen in der Nacht IS-Dschihadisten in ihr Haus, verbanden ihnen die Augen und stießen sie in einen Wagen, um sie nach Erbil zu fahren. «Ich realisierte jedoch, dass wir nicht Richtung Erbil fuhren», sagte Zarifa. Die Fahrt ging stattdessen nach Mosul, wo sie vortäuschen mussten, dass sie zum Islam konvertieren. Unter dem Vorwand, dass es im Altersheim keine freien Plätze gebe, warfen die IS-Dschihadisten sie ins Gefängnis. Dank einer Mitgefangenen, die sich für die beiden älteren Frauen einsetzte, wurden sie nach vier Tagen freigelassen und nach Karakosch zurückgefahren.

Vom Goodwill der Dschihadisten abhängig

Ihnen wurde versprochen, dass in Karakosch für sie gesorgt werde, und tatsächlich brachten die IS-Dschihadisten ihnen regelmäßig zu essen, manchmal sogar etwas Poulet. Einmal bot ihnen ein Dschihadist an, es noch einmal im Altersheim in Mosul zu versuchen. Weil es dort jedoch immer noch keine freien Plätze gab, ließ der Fahrer die beiden mitten an einer Kreuzung stehen. Sie landeten schließlich wieder in Karakosch, nachdem sich ein anderer Fahrer über die beiden weinenden und unterkühlten Frauen erbarmt hatte.

Nach etwa einem halben Jahr unter IS-Herrschaft kam ein IS-Dschihadist zu ihrem Haus und zwang sie, alle ihre Wertsachen herauszugeben. «Er hielt mir dreimal sein Gewehr an die Brust», erinnert sich Zarifa, die Augen voller Schmerz. Während drei Tagen sei er gekommen, habe sie erniedrigt und alles mitgenommen, was ihnen noch übriggeblieben war.

Mit dem Leben davongekommen

Am 17. Oktober 2016 begann die Offensive auf Mosul und Umgebung. Während der Kämpfe um Karakosch mussten Zarifa und Badria zwei Wochen ohne Strom und Wasser auskommen. Auch Lebensmittel wurden ihnen keine mehr gebracht. Sie hörten Luftangriffe und Artilleriebeschuss. «Es war sehr beängstigend», sagt Zarifa. «Wir waren sicher, dass wir sterben würden.»

Ende Oktober wurde Karakosch erfolgreich zurückerobert. Soldaten der irakischen Armee und einer christlichen Miliz (NPU) prüften jedes Haus auf Minen und Bombenfallen. Dabei stießen sie plötzlich auf die beiden Frauen. Zarifas Neffe konnte kaum glauben, dass sie noch am Leben war und nahm sie zu sich in die Umgebung von Erbil, wo er mit seiner Familie seit der Flucht aus Karakosch im August 2014 wohnt. Ob Zarifa, ihre Familie und die vielen weiteren christlichen Flüchtlinge in Karakosch jemals wieder in Sicherheit leben können, ist ungewiss.

 

Hélène Rey

 

Weiterer Bericht: 

Sie träumt von einer Rückkehr in ihre Heimat


 

CSI brachte Winterhilfe zu Flüchtlingen in Kurdistan

Auch zwei Jahre nach ihrer Flucht vor dem Islamischen Staat bleiben viele Flüchtlinge in Kurdistan auf Hilfe von aus­sen angewiesen. In Zusammenarbeit mit der einheimischen Menschenrechtsorganisation Hammurabi kümmert sich CSI vorwiegend um die christlichen und jesidischen Flüchtlinge, die vom islamistischen Terror besonders stark betroffen sind. Im Winter 2016/2017 verteilt CSI mit Hammurabi Kleider, Heizöfen und Hygieneartikel.

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