27. Juni 2020

Die Christenverfolgung einfach betend hinnehmen?

«In der Endzeit muss es Verfolgung von Christen geben. Wenn wir etwas Gutes für unsere verfolgten Glaubensgeschwister tun wollen, sollten wir nicht gegen ihre Verfolgung protestieren, sondern dafür beten, dass sie stark werden und durchhalten.» Vier TheologInnen kommentieren diese Zuschrift einer Mahnwache-Teilnehmerin.

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Pfarrer Hans Mathis: «Nächstenliebe erfordert auch Protest»

Wohin man auch schaut: Zu allen Zeiten und an fast allen Orten der Welt sahen sich Christen Hass und Gewalt ausgesetzt. Jesus prophezeite: «Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden» (Lk 21,17).

Warum werden Christen verfolgt? Vielleicht steckt in Jesus selbst der Grund. Denn Jesus stört die bestehende Ordnung zugunsten einer neuen Form des Zusammenlebens, deren Regeln sich weniger aus Tradition, Sitte und Kalkül ergeben, sondern von der Liebe Gottes her aufgestellt werden.

Gebet für die Verfolgten ist immer richtig! Andererseits müssen wir gegen Unrecht protestieren. Solidarität und Nächstenliebe erfordern das. «Ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht» (Mt 25,43b). Es wird am letzten Gericht nach unserem konkreten Tun gefragt: «Warum habt ihr euch für mich nicht gewehrt?!»

Pfarrerin Caroline Schröder Field: «Das eine tun, ohne das andere zu lassen»

Für verfolgte Christinnen und Christen protestieren oder für sie beten – man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Der Glaube an Jesus Christus stellt Katastrophen und menschliche Gewalt in das Licht der Erwartung, dass Gott die Geschichte zu ihrem Ende und Ziel bringen wird (vgl. Mk 13).

Immer, wenn Menschen ihres Glaubens an Christus wegen verfolgt werden, flammt diese Erwartung auf und bringt den Betroffenen Trost, weil ihr Leiden damit der menschlichen Willkür entnommen ist. So gesehen haben immer wieder Menschen «in der Endzeit» gelebt: in einer Unmittelbarkeit zum kommenden Christus, der es ihnen möglich macht, an ihrem Glauben festzuhalten.

Doch immer wieder leben Christinnen und Christen ihren Glauben auch im Einklang mit den gesellschaftlichen Institutionen. Sie heiraten, gründen Familien, gehen wählen und bekleiden politische Ämter. Und sie gebrauchen für ihre verfolgten Glaubensgeschwister alle politischen Mittel, um Gewalt von ihnen abzuwenden.

Da sie aber eben ihre Glaubensgeschwister sind, werden sie auch für sie beten. Denn auch wenn sie sich selbst noch nicht «in der Endzeit» sehen, so wissen sie doch, dass ihr gemeinsamer Glaube das höchste verlierbare Gut ist.

Pfarrer   Dr. Stefanos Athanasiou: «Hilfe in jeglicher Form anbieten»

Die orthodoxe Eucharistiefeier wird als göttliche Liturgie bezeichnet, gerade weil sie sich als Ort versteht, der gleichzeitig inner- und ausserhalb der Zeit ist. In diesem Sinne erfährt und lebt man die Endzeit in Christus, im Gestern, Heute und Morgen im Nullpunkt der Liturgie. Mit dieser Gewissheitserfahrung der Endzeit lebt man als BekennerIn (MärtyrerIn) im Heute der Kirche. Es ist dieses eine Heute in Christus, das alle Christmenschen in der Geschichte erleben.

Viele Menschen werden seit den Anfängen der Kirche wegen ihres Glaubens an Christus verfolgt. Wir sehen jedoch, dass schon seit der Zeit des Neuen Testamentes Kollekten und Hilfestellungen für Leidende und Verfolgte Ausdruck der Nächstenliebe waren, die grundlegend für das christliche Selbstverständnis ist. Wann das Ende der Zeiten eintreffen wird, weiss nur der Vater im Himmel (Mt 24,36); somit werden wir aufgerufen, Verfolgung und Leid in unsere Gebete einzuschliessen und als Ausdruck unseres Glaubens und der Gebete Hilfe in jeglicher Form anzubieten, ganz nach den Worten des Paulus an die endzeiterwartenden Thessaloniker: «Ihr aber, Brüder, werdet nicht müde, Gutes zu tun!» (2 Thess, 3,13).

Major Lukas Wittwer-Inniger: «Es bräuchte mehr als Gebet in der Stille»

Das eine schliesst das andere nicht aus. Man muss aber differenzieren beim Protest: Sinnvoller Protest richtet sich gegen die Tatsache, dass Menschen um ihres Glaubens willen inhaftiert und bedrängt werden. Nicht sinnvoll ist der Protest gegen die Urheber und ihre Kultur, z.B. Pauschalattacken gegen Andersglaubende. Diese Art des Protests ist ein Eigentor und weckt eher mehr Repression für die Betroffenen, als es ihnen nützt.

Die Aussage «In der Endzeit muss es Verfolgung geben» scheint mir fatalistisch. Sie ist wahr in dem Sinne, dass die Christen von Anfang an in der «Endzeit» lebten und Verfolgung erlitten. Aus der Warte von praktisch unbehelligten Schweizer Staatsbürgern ist die Aussage etwas leichtfertig. Man kann so die Aufgabe gerade praktisch an Gott delegieren. Es bräuchte in jedem Fall mehr als Gebet in der Stille, es bräuchte auch das Engagement der Freien für die Unfreien. Um ihnen eine Stimme zu geben.

«Im Übrigen gilt: Wer die Zeit und die Mittel hat, Gutes zu tun, und es nicht tut, macht sich schuldig» (Jak. 4,17). In meinen Augen wird das Thema zu oft vernachlässigt. Es wäre Geschwisterpflicht. Aber es ist halt auch herausfordernd, auch für mich selbst.

 


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