«Die Sklaverei war Teil des Dschihad»

Dr. John Eibner hat den Einsatz von CSI gegen die Sklaverei im Sudan initiiert. Im Interview berichtet er über die internationale Kampagne gegen die Sklaverei und das Ende der Sklavenjagden mit dem Friedensabkommen von 2005. Doch bis heute befinden sich Sklaven im Sudan. CSI will sie alle befreien.

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CSI: Vor 25 Jahren befreite CSI zum ersten Mal Sklaven im Sudan. Wie kam es dazu?

Dr. John Eibner: In den westlichen Medien war der Bürgerkrieg im Sudan gelegentlich ein Thema. In Menschenrechtskreisen war bekannt, dass es im Sudan Sklaverei gibt. Missionare erzählten uns vom Leben der Christen unter der Scharia. Als ich Kontakt zum Neuen Sudanesischen Rat der Kirchen (NSCC) aufnahm, lud uns dieser 1992 zu einer ersten Erkundungsreise in den Süden des Sudans ein.

War dafür ein Visum nötig?

Nein, wir benötigten nur die Genehmigung der Behörde, die das Gebiet kontrollierte. Diese stand in Opposition mit der Regierung im Sudan. In Nairobi (Kenia) charterten wir ein Flugzeug und flogen direkt zu den Kirchen in den verschiedenen Landesteilen. Die Städte mussten wir meiden, da sie unter der Kontrolle der Regierung standen.

Was wir auf dieser ersten Reise gesehen und gehört hatten, floss in einen Bericht ein. In einem Artikel für das Wall Street Journal schrieb ich von «Anzeichen eines Völkermords» im Sudan. Das war damals relativ neu.

Wie reagierte die sudanesische Regierung?

Natürlich mochte sie solche Berichte nicht, aber sie hoffte, uns zu überzeugen, dass es nicht die volle Wahrheit war. So wurden wir nach Khartum eingeladen, wo wir hohe Vertreter der Muslimbrüder-Regierung trafen. Was wir hörten und sahen, bestätigte im Grossen und Ganzen unsere Sicht. Nachdem wir darüber öffentlich berichtet hatten, wurden wir zu unerwünschten Personen erklärt.

Versuchte die sudanesische Regierung aktiv, die Arbeit von CSI zu behindern?

Vor Ort im Süden des Sudans konnte sie nichts tun, da wir uns nur in Gebieten ausserhalb ihrer Kontrolle bewegten. Doch sie startete eine Gegenkampagne, für die sie eine Kommunikationsagentur in London engagierte. Diese sollte die öffentliche Meinung gegen CSI beeinflussen. Es gab auch telefonische Drohungen gegen CSI und gegen mich, die wir der Polizei rapportierten.

Wenn wir bei der UNO in Genf Veranstaltungen organisierten, nahmen sudanesische Diplomaten und Vertreter von islamischen Organisationen teil, die uns bekämpften. Ich erinnere mich an einen sudanesischen Diplomaten aus dem Süden, der CSI öffentlich verurteilte. Doch nach seiner Rede kam er zu mir, lobte die Arbeit von CSI und sagte, wir sollten sie unbedingt weiterführen.

1999 erreichte der Sudan, dass CSI die UNO-Akkreditierung entzogen wurde – ein seltener Vorgang. Wie war das möglich?

CSI gab der im Sudan verbotenen Opposition an zahlreichen Veranstaltungen in Genf eine Plattform. Als wir mit John Garang den Anführer der Rebellenarmee SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) einluden, war dies für das Muslimbrüder-Regime ein enormer Affront. Der sudanesische Antrag, CSI die Akkreditierung zu entziehen, wurde von allen islamischen Staaten unterstützt, ebenso von Staaten, die Menschenrechtsorganisationen ohnehin nicht mögen, wie Indien, Russland, China oder Kuba. Die USA waren das einzige Land, das sich energisch für CSI einsetzte.

Und die europäischen Staaten?

Europa war geteilt. Was CSI tat, kam vielen Staaten ungelegen. Wir zeigten auf, dass die Sklaverei Teil des Dschihad war, den der sudanesische Diktator Omar al-Bashir erklärt hatte. Das missfiel islamischen Staaten. Andere Organisationen prangerten zwar die Sklaverei an, nannten aber den Klimawandel oder die Armut als Gründe.

Allen Staaten war bekannt, wie wichtig das Thema für den Sudan war. Als die damalige UNICEF-Direktorin Carol Bellamy öffentlich von Sklaverei im Sudan sprach, war die sudanesische Regierung ausser sich und drohte, alle UNO-Institutionen aus dem Land zu werfen.

Welche Konsequenzen hatte der Verlust der Akkreditierung für die internationale Kampagne gegen die Sklaverei im Sudan?

Genf fiel als Plattform weg, um die internationale Gemeinschaft auf die Sklaverei im Sudan aufmerksam zu machen. Viel wichtiger als die UNO waren für uns jedoch die USA.

Warum?

Die USA setzten sich vehement für ein Friedensabkommen im Sudan ein, das auch die Sklavenjagden beendete. Im Abkommen war zudem der Weg zu einem unabhängigen Staat festgelegt.

Südsudanesische Persönlichkeiten sagten, ohne CSI gäbe es keinen unabhängigen Südsudan.

Tatsächlich hat CSI – natürlich mit vielen Verbündeten – in den USA starken öffentlichen Druck gegen die Versklavung im Sudan aufgebaut, so dass sich die USA für ein Friedensabkommen im Sudan einsetzen mussten.

Wie kam dieser öffentliche Druck zustande?

Die Zusammenarbeit mit der «Amerikanischen Vereinigung gegen Sklaverei» (American Anti-Slavery Group) und ihrem jüdischen Gründer, Charles Jacobs, war entscheidend. Jacobs hatte von Studierenden aus dem Sudan und aus Mauretanien von der Sklaverei erfahren und setzte Geld und Kontakte ein, um darauf aufmerksam zu machen.

Warum war die Zusammenarbeit mit dieser Gruppe so bedeutsam?

Die Gruppe um Charles Jacobs hatte das Netzwerk, wir brachten die Augenzeugenberichte: Geschichten, Fotos. Wir schmiedeten gemeinsam eine breite Allianz gegen die Sklaverei, wobei wir insbesondere bei linken Aktivisten und bei ultrakonservativen Christen und Juden Gehör fanden; Leute, die unter anderen Umständen nie eine Plattform teilen würden.

Wir organisierten Proteste vor der sudanesischen Botschaft in Washington mit berühmten Exponenten der Bürgerrechtsbewegung, unter anderem auch mit einem Weggefährten von Martin Luther King. Bei diesen Protesten betraten wir das Gelände der sudanesischen Botschaft und liessen uns verhaften, wobei wir die Polizei und die Medien vorgängig informierten. Menschenrechtsaktivisten in Handschellen abgeführt – das brachte uns viel Beachtung, die wir auf die Sklaven im Sudan lenken konnten.

Die Kampagne führte zum Umfassenden Friedensabkommen (CPA) von 2005. Dort ist die Sklaverei allerdings kein zentrales Thema.

Ja, die Rückkehr der Sklaven wird leider nicht geregelt. Das Thema war zu heikel. Man wollte das CPA nicht gefährden. Natürlich waren wir enttäuscht. Trotzdem: Der Krieg war beendet und mit ihm auch die Sklavenjagden. Das war für alle eine enorme Erleichterung.

Seit dem Friedensabkommen ist die Sklavenbefreiung für CSI ein rein humanitäres Projekt. Warum fordert CSI die Sklavenbefreiung nicht mehr politisch ein?

Als wir in den 1990er Jahren auf die Sklaverei aufmerksam machten, ging ich noch davon aus, dass die USA oder die UNO intervenieren und die Sklaven befreien würden. Inzwischen kenne ich die politischen Realitäten gut genug, um zu wissen, dass dies nicht geschehen wird. Und selbst wenn es geschähe und die sudanesische Regierung kooperieren würde – es kämen kaum viele Sklaven frei. Vielmehr wäre ein Sklaven-Massenmord zu befürchten: Die Versklavten haben so wenig Wert, dass die Sklavenhalter ihnen wahrscheinlich sofort die Kehle durchschneiden und alle Beweismittel vernichten würden.

Die Menschenrechtsarbeit hat erreicht, was sie konnte: Der Krieg und die Sklavenjagden endeten. Der sicherste Weg, um die Sklaven zu befreien, ist, mit der Sklavenrückführung weiterzufahren.

Wie viele Sklavinnen und Sklaven befinden sich denn immer noch im Norden?

Das ist unbekannt. Man muss bedenken, dass es nicht nur um die Südsudanesen geht, die aus ihren Dörfern verschleppt wurden. Viele von ihnen haben Kinder geboren – auch sie leben in der Sklaverei.

«Bis der letzte Sklave frei ist», verkündete CSI-Gründer Hansjürg Stückelberger. Gilt das weiterhin?

Ja, solange ich es beeinflussen kann. Mir liegt viel daran, dass auch eine neue Führung zu den CSI-Werten steht und solche Verpflichtungen nicht missachtet. Es gibt keinen anderen Weg, um die Versklavten zu befreien.

Adrian Hartmann

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