
«Das Schlimmste für uns war, dass wir über all die Jahre im Gefängnis von unseren Familien getrennt waren», erklären sieben freigelassene indische Christen CSI. Sie waren 2008 in einem ungerechten Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nun wurden sie gegen Kaution freigelassen. Trotz all der Entbehrungen sind sie überglücklich und dankbar, frei zu sein.
Fröhlich winken uns die sieben Männer zu und lachen. Wir sehen sie auf dem Bildschirm eines Handys, da die geplante Begegnung wegen Nebels nicht zustande kam: Das Flugzeug blieb am Boden. Welch bittere Enttäuschung! Über ein Videogespräch im Hotelzimmer in der indischen Hauptstadt Delhi treten wir doch noch mit den sieben Indern in Kontakt.
Bei den sieben Indern handelt es sich um Christen, die nach elf Jahren Gefängnis im Dezember 2019 endlich freigelassen wurden. Freimütig geben sie uns Auskunft, wie ihr Leben 2008 eine tragische Wende genommen hatte.
Alles begann mit dem Mord vom 23. August 2008 am Hindupriester Swami Laxmanananda Saraswati im Distrikt Kandhamal, Bundesstaat Odisha (damals Orissa). Ein gewalttätiger Mob von wütenden Hindu-Extremisten machte die Christen für den Mord verantwortlich und zog brandschatzend und mordend durch die christlichen Dörfer Kandhamals. Sie töteten über 100 Christen und liessen Unzählige verletzt zurück. Über 5500 Häuser und mehrere 100 Kirchen wurden zerstört. Mehr als 55 000 Christen mussten fliehen, viele durch den gefährlichen Dschungel.
Die sieben Christen wurden kurz nach dem Mord unabhängig voneinander auf die örtliche Polizeiwache vorgeladen. «Zunächst wollten sie von uns allen wissen, warum wir Christen sind. In Odisha gebe es gar keine Christen», erzählen uns die Männer im Videogespräch. Die Polizisten hätten sie beschuldigt, Teil eines Netzwerks zu sein, und gedrängt, die Namen ihrer Anführer bekannt zu geben. «Dabei kannten wir uns vorher nicht einmal», beteuern die sieben Christen unisono.
Doch die Polizei stand stark unter Druck und musste Täter vorführen. So wurden Bijoy Sunseth, Garanath Chalanseth, Budhadeb Nayak, Bhaskar Sunamajhi, Durjo Sunamajhi, Munda Badmajhi und Sanatan Badmajhi zwischen dem 4. Oktober und dem 13. Dezember 2008 verhaftet und in ein Gefängnis nach Balliguda gebracht.
Die Verhaftungen, die bei allen ähnlich abliefen, waren für die betroffenen Männer und deren Familien ein Alptraum: «Mitten in der Nacht tauchten plötzlich Polizisten bei uns auf und führten uns in Handschellen ab. Unsere Frauen und Kinder schrien voller Angst und Verzweiflung. Nachbarn, die uns zu Hilfe eilen wollten, wurden von den Polizisten verjagt.»
Zu Beginn ihrer Inhaftierung seien sie noch zuversichtlich gewesen, das Gefängnis in wenigen Tagen verlassen zu können. «Wir wussten ja, dass wir unschuldig sind», betonen sie. Doch in den indischen Medien sei der Fall von Anfang an klar gewesen: Sie wurden als die Mörder dargestellt. Das Distriktgericht in Phulbani (Kandhamal) verhängte schliesslich lebenslängliche Freiheitsstrafen wegen Mords und Verschwörung zum Mord.
Die sieben Christen waren während der Haft stets getrennt in verschiedenen Zellen mit 20 bis 30 anderen Mitinsassen untergebracht. Besonders die ersten Monate im Gefängnis waren überaus schwierig: «Unsere Mitinsassen behandelten uns sehr schlecht. Es war niemand da, der uns beschützt hätte», erinnern sie sich.
Der Alltag im Gefängnis sei sehr eintönig gewesen: aufstehen, sich waschen, frühstücken und dann unendlich viel leere Zeit. Oft bekamen sie zu wenig zu essen, die hygienischen Zustände waren bedenklich.
Was ging ihnen während der langen Haftzeit durch den Kopf, besonders nachdem sie zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren? «Die Verzweiflung holte uns immer wieder ein. Doch das stetige Gebet gab uns Kraft, die Not durchzustehen», entgegnen sie. «Wir glaubten, dass Gott für uns einen Weg bereit hält und Wunder vollbringen wird.»
Mit der Zeit änderte sich auch das Verhalten der Mitgefangenen: «Etliche schenkten uns ihr Vertrauen, sodass wir für sie beten konnten. Zehn Mitbetroffene fanden während unserer Zeit im Gefängnis zum christlichen Glauben.» So ergebe ihre ungerechte Haftstrafe trotz allem einen Sinn.
Den sieben Christen machte es sehr zu schaffen, dass sie voneinander getrennt waren. Immerhin konnten sie sich gelegentlich sehen. Diese Zeit nutzten sie, um gemeinsam zu beten und sich gegenseitig zu ermutigen.
Worunter litten sie am meisten? «Das Schlimmste war für uns, dass wir von unseren Familien getrennt waren, sie keinen Ernährer hatten und auch von niemandem beschützt wurden.» Zwar durften ihre Angehörigen sie einmal im Monat fünf Minuten besuchen. «Doch unsere Familien konnten nicht jeden Monat zu uns kommen, weil die Reise zum Gefängnis weit und teuer war.»
Besonders schwer war es für Budhadeb Nayak: Er musste mit dem tragischen Verlust seiner Tochter fertig werden, die mit vier Jahren an Durchfall starb. Dass er in diesen schwierigen Stunden nicht bei seiner Familie sein konnte, schmerzte ihn ungemein.
Bei all den schrecklichen Erlebnissen und Entbehrungen betonen die sieben Betroffenen: «Wir sind überglücklich, dass wir mit unseren Familien vereint sind und gemeinsam wieder den Gottesdienst besuchen können.»
Zum Schluss des Gesprächs drücken die sieben Christen ihre grosse Dankbarkeit für die CSI- Ermutigungskarten aus: «Zu wissen, dass unbekannte Menschen aus einem anderen Land an uns denken, für uns beten und sogar Karten an uns schreiben, hat uns viel Kraft gegeben. Wir haben nichts, was wir als Dankeschön zurückgeben können, ausser unser Gebet für Euch alle.» Die sieben Christen benötigen auch unser Gebet: Sie sind nur auf Kaution frei. Ihr Verfahren ist bis heute beim Obergericht in Cuttack (Bundesstaat Odisha) hängig. Zudem leben sie in grosser Armut. CSI versucht, ihnen zu einem regelmässigen Einkommen zu verhelfen.
Reto Baliarda
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