John Eibner: «Geopolitische Interessen werden über die Religionsfreiheit gestellt»

Am 5. und 6. Juli 2022 trafen sich die Vertreter von 30 Ländern zur Ministerkonferenz für Religionsfreiheit in London. Wir fragten den Präsidenten von Christian Solidarity International, Dr. John Eibner, wie er das Treffen erlebt hat.

Ministerkonferenz in London

Sie standen in London für die Religionsfreiheit ein: Reverend Hassan John, Caroline Cox (HART), Samuel Ortom (Gouverneur Benue State Nigeria), John Eibner (CSI), Reverend Gideon Para Mallam. Photo: csi

 

An einem Ministertreffen in London am 5. und 6. Juli 2022 wurde über den Schutz der Religionsfreiheit diskutiert. Das dürfte Sie als Präsident der christlichen Menschenrechtsorganisation CSI gefreut haben, Dr. Eibner.
Man muss den Hintergrund der Konferenz kennen. Die Ministerkonferenz in London war Teil einer Reihe, die von der Allianz für Religions- und Glaubensfreiheit unter der Leitung der US-Regierung initiiert wurde. Den Grundstein dieser 36 Mitglieder umfassenden «Koalition der Willigen» hatte die Regierung Trump mit Mike Pompeo als Aussenminister gelegt. Ihren Sitz hat die Allianz im US-Aussenministerium, wo sie zu den vielen Instrumenten im «Werkzeugkasten» der Aussenpolitiker gehört, mit denen diese ihre nationalen Interessen verfolgen. London ist in dieser Hinsicht dem Beispiel Washingtons gefolgt. Die Initiative für die Religionsfreiheit wird als Instrument zur Stärkung der globalen Macht des Vereinigten Königreichs und seiner Verbündeten eingesetzt, insbesondere der Vereinigten Staaten. Das belegt das britische Strategiepapier «Global Britain in a Competitive Age: The Integrated Review of Security, Defence, Development and Foreign Policy». Dies wurde besonders in der kurzen Botschaft von Aussenministerin Liz Truss deutlich, in deren Mittelpunkt die Verurteilung des russischen Einmarsches in der Ukraine stand.

Ihre Freude an der Konferenz ist nicht gerade enthusiastisch. Kann man gegen eine Diskussion über Religionsfreiheit sein?
Niemand sollte grundsätzlich gegen eine Diskussion über Religionsfreiheit sein. Entscheidend sind aber Charakter und Qualität der Diskussion. Ist die Diskussion darauf ausgerichtet, die Religionsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht zu fördern oder wird sie selektiv als Instrument gegen bestimmte Gegner eingesetzt, während religiös intolerante Mächte, die als Partner und Verbündete fungieren, geschont werden? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die aus der Diskussion resultierenden Ergebnisse ansehen.
Die britische Sonderbeauftragte für Religionsfreiheit, Fiona Bruce, MP, hat vor der Ministerkonferenz deutlich gesagt: «Diese Konferenz wird nichts wert sein, sollte sie nicht zu einer konzertierten globalen Aktion führen, um die Religions- und Glaubensfreiheit in der ganzen Welt zu verwirklichen.»

Wie bewerten Sie nun das Ergebnis?
 Die Erklärungen des Premierministers und der Aussenministerin deuten nicht darauf hin, dass das Ziel ihrer Sonderbeauftragten erreicht wurde. Dabei muss erwähnt werden, dass Fiona Bruce eine der engagiertesten Abgeordneten im Unterhaus ist, wenn es um die Religionsfreiheit geht. Aber ihr Amt als Sonderbeauftragte ist mit wenig Macht verbunden. Dort, wo die Aussenpolitik bestimmt wird, hört man sie kaum.

Sie wirken desillusioniert.
Ich würde eher sagen, realistisch, nicht desillusioniert. «Talking Shops», die keine greifbaren Ergebnisse hervorbringen, dienen der Sache nicht und werden am Ende sogar kontraproduktiv. Der «Talking Shop» in London war eine raffiniere Show, die damit begann, dass der «Citizens of the World Choir» ein Lied aus der Weihnachtskomödie «Home Alone» auf Ukrainisch sang. Im weiteren Verlauf des Programms wurde ein Teilnehmer mit den Worten zitiert: «Dies fühlt sich an wie ein geschützter Ort für das Narrativ des Aussenministeriums. Es gibt keinen Raum für eine solide Diskussion über das, was tatsächlich passiert.» Das ist bedauerlich, denn im Publikum sassen viele gut informierte und engagierte Menschen aus der ganzen Welt. Wäre die Konferenz weniger streng choreographiert gewesen und hätte sie einen freieren Austausch zwischen den Regierungen, der Zivilgesellschaft und den Opfern ermöglicht, dann hätte sie den politischen Entscheidungsträgern einen wertvollen Beitrag zur Förderung der Religionsfreiheit geliefert. Aber die Ministerkonferenz war staatlich gefördert und organisiert. Es war nur zu erwarten, dass sich die Narrative des Staates durchsetzen werden, ungeachtet der edlen Bemühungen der leider machtlosen britischen Sonderbeauftragten für Religions- und Glaubensfreiheit, Fiona Bruce.

Trotzdem: 30 Staaten haben ein Abschlussdokument unterschrieben. Darin versprechen diese Regierungen unter anderem, dass sie enger mit Menschenrechtsexperten zusammenarbeiten wollen. Was ist daran falsch?
Daran ist nichts auszusetzen. Das Abschlussdokument ist mit rührenden Absichten verfasst, die typisch sind für die Plattitüden, wie sie sich in Regierungserklärungen zur Religionsfreiheit häufig finden lassen. Aber es ist weit entfernt von einer kohärenten politischen Erklärung. Weder der Premierminister noch die Aussenministerin haben eine solche vorgelegt. Was bedeutet es konkret, «enger mit Menschenrechtsexperten zusammenzuarbeiten»? Wie wird eine solche Absicht, wenn sie jemals umgesetzt wird, die Notlage der Opfer religiöser Verfolgung verbessern? Antworten auf diese Fragen gab es in London keine. Das allgemeine Versprechen, «enger mit Menschenrechtsexperten» zusammenzuarbeiten, ist kein besonders eindrückliches Ergebnis für eine zweitägige Ministerkonferenz angesichts der Tatsache, dass die aktuelle religiöse Verfolgung in einigen Weltgegenden bereits an Völkermord grenzt.

CSI will den Verfolgten helfen. Wie effizient kann Hilfe sein, wenn sich die politischen Umstände nicht ändern? Wäre es nicht wirkungsvoller, mit Regierungen zusammenzuarbeiten?
CSI ist nicht von staatlichen Geldern abhängig. Unser Mandat ist es, in Solidarität mit den Verfolgten zu handeln. Ihre Interessen bestimmen die Politik von CSI. Das geschieht durch geistliche und materielle Unterstützung der Opfer. CSI ist in der Vergangenheit immer wieder Risiken eingegangen, um Zugang zu Opfern zu erhalten, die von der Aussenwelt abgeschnitten waren. Es wurden Menschen gerettet und Gefangene befreit, ohne dass die Regierung eingriff und ohne dass sich die politischen Verhältnisse grundlegend geändert hätten. Das ist bis heute an vielen Fronten des Kampfs um die Religionsfreiheit ähnlich.
Gleichzeitig ist CSI bestrebt, seinen Einfluss geltend zu machen, um eine grundlegende Änderung jener politischen Verhältnisse herbeizuführen, die zu Verfolgung führen. CSI hat bei politischen Veränderungen schon mehrfach eine Rolle gespielt.

Bitte nennen Sie uns solche Bespiele.
Der Einsatz für die Religionsfreiheit gemeinsam mit den OSZE-Mitgliedsstaaten trug zum Zusammenbruch des militant-atheistischen Kommunismus in der Sowjetunion und ihren osteuropäischen Satellitenstaaten bei. Dann wurden in den 1990er Jahren die Bemühungen Aserbaidschans und der Türkei, armenische Christen aus ihren Häusern in Berg-Karabach zu vertreiben, vereitelt und der Dschihad der sudanesischen Regierung gegen nicht-unterwürfige schwarze Christen beendet. CSI ist bereit, mit Regierungen zusammenzuarbeiten, wenn wir sehen, dass sie die Religionsfreiheit fördern. Aber wir werden keine Politik unterstützen, welche die Religionsfreiheit untergräbt, und wir werden nicht schweigen, nur weil Regierungen es vorziehen zu schweigen.

Im Vorfeld der Konferenz hat CSI die britische Aussenministerin aufgefordert, eine Resolution aufzusetzen, um die schreckliche Lage und das Nichtstun der USA in Nigeria anzuprangern. Was ist daraus geworden?
Um es genau zu sagen: Wir haben die Aussenministerin gebeten, der Ministerkonferenz eine Resolution vorzuschlagen, die Nigeria zu einem «besorgniserregenden Staat» in Bezug auf die Religionsfreiheit erklärt. Wir taten dies aus zwei Gründen: erstens wegen der gut dokumentierten, weit verbreiteten religiösen Verfolgung in Nigeria, insbesondere der «religiösen Säuberung» von Christen aus dem Mittleren Gürtel, und zweitens, weil US-Aussenminister Antony Blinken am Vorabend seines Verhandlungsbesuchs in Abuja im vergangenen November Nigeria von der Liste dieser Länder gestrichen hat. Dies tat er als Zugeständnis an die nigerianischen Behörden, da zurzeit Washingtons oberste Priorität darin besteht, seine militärische und wirtschaftliche Vormachtstellung in Nigeria zu festigen, weil Chinas wirtschaftlicher Einfluss laufend wächst. Die Aussenministerin entschied sich in London, Nigeria nicht als «besorgniserregendes Land» zu bezeichnen. Dies ist ein gutes Beispiel für die gängige Praxis, dass geopolitische Interessen über die Religionsfreiheit gestellt werden.

Das heisst, in London redeten die Minister zwei Tage lang über den Schutz der Religionsfreiheit, ohne die aktuellen Hotspots der religiösen Verfolgung aufs Tapet zu bringen?
Nein. Es wäre ein Fehler anzunehmen, die Minister hätten zwei Tage lang über Religionsfreiheit gesprochen. Die wenigen Minister, die teilnahmen, traten kurz auf und verschwanden wieder. Einige dieser Brennpunkte wurden im offiziellen Programm durchaus hervorgehoben, wie die Verfolgung der muslimischen Uiguren in China, der muslimischen Rohingya, der Christen und aller anderen Gläubigen in Nordkorea und die verschiedenen Opfer des Islamischen Staates und seiner Ableger in Syrien, Irak und Afrika. Doch viele andere wurden kaum beachtet.
Es wurde zum Beispiel nicht angeprangert, dass Saudi-Arabien in Bezug auf die Religionsfreiheit eine der schlimmsten repressiven Diktaturen der Welt ist. Washington und London haben eine besondere Beziehung zu Saudi-Arabien, das weltweit eine intolerante Form des Islam finanziert. Joe Biden will demnächst nach Saudi-Arabien reisen, um dort die Unterstützung im Konflikt mit Russland zu erhalten. Auch wurde auf dem Ministertreffen nicht darauf hingewiesen, dass gewalttätige nichtstaatliche Dschihadisten von Washington und London für den Einsatz gegen Feinde und Gegner unterstützt werden. Man verliess das Ministertreffen, ohne darüber informiert zu werden, dass Zehntausende armenischer Christen von Aserbaidschan – einem assoziierten Mitglied der NATO mit Hilfe von NATO-Mitglied Türkei – aus ihrer angestammten Heimat in Berg-Karabach vertrieben wurden. Die zunehmende gewaltsame Verfolgung von Christen und Muslimen in Indien vor dem Hintergrund der von der Regierung geförderten hinduistischen Vorherrschaft stand ebenfalls nicht im Zentrum der Diskussion. Die religiöse Säuberung von Christen in Nigeria war zwar ein „Hotspot», der bei einigen inoffiziellen Nebenveranstaltungen, an einer solchen nahm auch CSI teil, Thema war. Bei den offiziellen Beratungen wurde Nigeria aber nicht als besonders besorgniserregend eingestuft.
Das offizielle Werbevideo und die Abschlusserklärung geben Geist und Charakter der Ministerkonferenz gut wieder. Ich kann nicht erkennen, dass man besonderen Brennpunkte ausgemacht oder kohärente Strategien entworfen hätte. Aber das kann jeder selber beurteilen.

Wo sehen Sie derzeit die schlimmsten Verstösse gegen die Religionsfreiheit?
In Nordkorea, Saudi-Arabien, Nord-Nigeria einschliesslich des Mittleren Gürtels und andere von Dschihadisten kontrollierten Gebiete in Subsahara-Afrika, sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten in Nord-Syrien.
CSI wird weiterhin westliche Regierungen auffordern, sich besser für die Religionsfreiheit einzusetzen. Es ist wichtig, die Interessen der Opfer von Verfolgung in den Mittelpunkt der westlichen Politik zu stellen und gleichzeitig darauf hinzuwirken, dass sich das Verhalten der Verfolgermächte ändert. Da die religiöse Verfolgung weltweit dramatisch zunimmt, und zwar ungeachtet der Ministerkonferenzen der Allianz für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, ist die Arbeit von CSI wichtiger denn je.

Interview: Rolf Hoeneisen

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