30. Oktober 2017

Geglückte Flucht dank unverhofftem Aufwachen

Bei einem Überfall durch Boko Haram auf Baga konnte Hannatus Familie zwar fliehen. Doch während der Flucht entrissen die Dschihadisten Tochter Mary der Familie. Noch in derselben Nacht konnte sie entkommen. Im Flüchtlingscamp von Maiduguri schöpft Mutter Hannatu neue Hoffnung.

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Auf seiner letzten Nigeria-Reise vom August 2017 besuchte CSI-Projektmanager Franco Majok auch Maiduguri. Die Grossstadt im Nordosten Nigerias war einst eine Hochburg der islamistischen Terrormiliz Boko Haram. Nicht zuletzt durch die Stationierung der nigerianischen Armee im Jahr 2015 hat sich die Sicherheitslage in Maiduguri verbessert. Dessen ungeachtet kommt es immer noch zu tödlichen Bombenanschlägen.

Im Flüchtlingscamp der Diözese von Maiduguri begegnet Franco Majok der 40-jährigen Hannatu Yusuf und ihren Kindern. Die neunfache Mutter hat schlimme Zeiten hinter sich. Der Überfall von Boko Haram, die anstrengende Flucht mit den kleinen Kindern und vor allem die – wenn auch kurze – Ungewissheit nach dem Verschwinden von Tochter Mary hatten ihr schwer zugesetzt. Kommt dazu, dass Hannatu vor drei Monaten ihren Ehemann verlor. Er erlag einer Krankheit.

Überfall mit Folgen

Hannatu erzählt, wie sie eine glückliche Zeit im Dorf Baga (Bundesstaat Borno) verbrachte. Die Familie besass ein eigenes kleines Haus und genügend Land, um Bohnen, Mais und Zwiebeln anzupflanzen und genug Geld für den eigenen Unterhalt zu verdienen. «Wir konnten all unsere Kinder in die Schule schicken», sagt Hannatu im Rückblick auf glücklichere Tage.

Mitte 2015 griffen Boko Haram-Extremisten das mehrheitlich christliche Baga an. Gerade noch rechtzeitig konnte die Familie aus dem Haus rennen und sich im nahegelegenen Gebüsch verstecken. Von dort aus mussten sie mit Entsetzen mitansehen, wie die Häuser ihres geliebten Dorfes in Flammen aufgingen. «Die Erinnerung an diesen Anblick schmerzt mich heute noch. Schweren Herzens mussten wir einsehen, dass eine schnelle Rückkehr nach Baga unmöglich war. Wir beschlossen, ins Dorf Mongono zu ziehen, wo es sicherer war», so Hannatu weiter.

Nachts verschleppt

Dass die mehrfache Mutter nur kurze Zeit später noch tiefer ins Unglück stürzen würde, konnte sie in jenem Moment nicht erahnen. Während ihrer nächtlichen Flucht hatten sich Boko-Haram-Islamisten an die Familie herangeschlichen. Plötzlich wurde die zehnjährige Mary am Arm gepackt und ins Gebüsch gezerrt. «Ich versuchte davonzurennen. Doch sie schlugen mich und drohten, mich umzubringen, sollte ich nicht mit ihnen mitkommen», schildert Tochter Mary unter Tränen den traumatischen Moment.

Viertägige Flucht

Zusammen mit zwei weiteren Mädchen wurde Mary in ein Dorf mitten im Wald entführt. Sie erhielten nichts zu essen und mussten sich von wilden Früchten ernähren. Es war schon tiefe Nacht, als die Entführer sie endlich auf dem Boden schlafen liessen. Nur kurze Zeit später wachte das älteste der verschleppten Mädchen auf und realisierte, dass alle Boko-Haram-Kämpfer rundherum schliefen. «Sie zögerte nicht lange und weckte uns leise auf. Wir ergriffen die günstige Gelegenheit und rannten davon, ohne dass jemand von Boko Haram dies bemerkte», beschreibt Mary die geglückte Flucht.

Vier Tage lang rannten die drei Mädchen durch den Dschungel, bis sie endlich eine grössere Strasse erreichten. Zum Glück hatte das älteste Mädchen etwas Geld bei sich. Damit konnte sie einen Lastwagenchauffeur bezahlen, der die drei sicher nach Mongono brachte. «Dort konnte ich endlich meine Eltern und Geschwister wieder in die Arme schliessen», erzählt Mary weiter.

In Mongono konnte die Grossfamilie auf die Dauer nicht bleiben. Zu ihrer Erleichterung erhielt sie Bescheid, dass sie in einem katholischen Flüchtlingslager von Maiduguri aufgenommen würde. Doch Hannatus mittlerweile verstorbener Ehemann kam mit den engen Platzverhältnissen im Camp nicht zurecht. Es bedrückte ihn sehr, dass die Familie zu elft ein Schlafzimmer teilen musste. Immer wieder hing er mit seinen Gedanken der glücklichen Zeit in Baga nach, wo er ein eigenes Haus mit landwirtschaftlichem Grundstück besass.

Immerhin hatte die einst entführte Tochter Mary die Möglichkeit, dank einer Patenschaft in Maiduguri ein Jahr lang die Schule zu besuchen. Nun hofft sie, weiterhin in die Schule gehen zu können. «Ich möchte später einmal Ordensschwester in einer Kirche werden», verrät sie ihren Berufswunsch. Ihre Mutter ihrerseits hofft, dass auch die anderen Kinder im kommenden Jahr die Schule besuchen können, was derzeit noch offen ist.

CSI schenkt Zuversicht

Auch Hannatu, die nicht zuletzt durch den kürzlichen Tod ihres Mannes schwere Schicksalsschläge erleiden musste, hat neue Zuversicht gefunden. Sie ist eine der 50 Vertriebenen im Camp, der das CSI-Landwirtschaftsprogramm zugute kommt. Von CSI hat sie mehrere Säcke mit Saatgut erhalten. Damit kann sie ein ihr zugesprochenes Landstück bepflanzen und Erdnüsse sowie Bohnen ernten, die sie gewinnbringend auf dem Markt verkaufen kann. «Ich bin CSI für die Unterstützung äusserst dankbar.»

Die landwirtschaftliche Arbeit lenkt Hannatu zudem vom Alltag im Flüchtlingscamp ab. Denn auch sie denkt gerne an die glückliche Zeit in Baga zurück. Ihr starker christlicher Glaubt hilft ihr, den Boko-Haram-Terroristen zu vergeben, die sie aus dem Dorf vertrieben haben.

Reto Baliarda

 

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