Joel Veldkamp: «In Nigeria geschieht ein Völkermord in Zeitlupe!»

Caroline Cox (Humanitarin Aid Relief Trust Hart), Hassan John (Anglikanische Kirche in Nigeria) und Joel Veldkamp (Christian Solidarity International CSI) diskutierten im Rahmen eines Online-Panels über die Menschenrechtslage in Nigeria. Sie sind sich einig: «Wir sind Zeugen einer ethnischen Säuberung in Zentral-Nigeria.»

Joel Veldkamp, CSI

Joel Veldkamp von Christian Solidarity International (CSI) zieht ein ernüchterndes Fazit von der Ministerkonferenz in London: „Die aktuellen Krisenherde wurden kaum erwähnt.“ Photo: csi

 

Es war ein Massaker. Am Pfingstsonntag griffen Attentäter die St.-Francis-Kirche im südwestnigerianischen Owo an. Im Kugelhagel der Angreifer starben über 40 Frauen, Männer und Kinder. Dutzende wurden zum Teil schwer verletzt. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht geklärt. Warum entfachte diese grauenhafte Bluttat keinen weltweiten Sturm der Entrüstung? Warum war die Verurteilung der Tat durch die nigerianische Regierung so schwach? Warum sind die Täter noch immer auf freiem Fuss?

Das Morden wird heruntergespielt

Baronesse Caroline Cox (Humanitarin Aid Relief Trust Hart), Pastor Hassan John (Anglikanische Kirche von Nigeria) und Joel Veldkamp (Christian Solidarity International CSI) informierten und diskutierten im Rahmen eines Online-Panels am 28. Juni über die Menschenrechtslage in Nigeria. Sie verfolgen die Situation seit Jahren. Im Frühjahr 2022 waren sie vor Ort, um sich aus erster Hand zu informieren. Für alle drei steht fest: «In Teilen von Nigeria ereignet sich vor den Augen der Welt eine ethnische Säuberung.» Die Gewalt in Zentral-Nigeria, dem «Middle Belt», wird von den offiziellen Stellen heruntergespielt. Die täglichen Schreckensnachrichten in der nigerianischen Presse über Attentate – vor allem gegen die christliche Bevölkerung – sagen etwas anderes. CSI listet alle Pressemeldungen auf, die in nigerianischen Medien über Attacken berichten.

Veldkamp: „Das ist eine organisierte Kampagne!“

Joel Veldkamp von Christian Solidarity International (CSI) betonte in seinem Beitrag: «Das sind keine zufälligen Tötungen.» Terror und Tod würden gezielt eingesetzt, um die Christen aus dem Middle Belt zu vertreiben. In der südlichen Kaduna-Region seien bereits 145 ehemals christliche Gemeinden von Fulani-Milizen und den ihnen nachfolgenden Siedlern besetzt worden. Veldkamp zählte weiter auf: «Im Bundesstaat Benue sind über eine Millionen Christen angegriffen und vertrieben worden. Und im Bundesstaat Plateau sind zahlreiche christliche Dörfer erobert und umbenannt worden.» Damit werde die Verbindung zu den früheren Einwohnern vertuscht, was eine klassische Strategie des Völkermords sei. Joel Veldkamp wurde deutlich: «Es handelt sich um eine organisierte Kampagne der ethnischen Säuberung, vielleicht sogar um Völkermord.»

Die Regierung versagt

Obwohl die nigerianische Armee im Middle Belt omnipräsent ist, gehen die Angriffe gegen die christliche Zivilbevölkerung unvermindert weiter. Joel Veldkamp von CSI: «Überlebende erzählten uns, sie hätten die Armee zu Hilfe gerufen. Doch die Soldaten seien erst nach Ende der Angriffe gekommen; manchmal Stunden oder sogar Tage später.» Er könne nicht sagen, ob die nigerianischen Sicherheitskräfte oder Teile von ihnen tatsächlich mit den angreifenden Fulani-Milizen kollaborierten, so Veldkamp. Es sei jedoch unbestreitbar, dass die nigerianischen Behörden Journalisten und Informanten verfolgten, die auf diese Krise aufmerksam machen. Die Regierung versage, wenn es darum gehe, die Gewalt zu stoppen.

Welche Rolle spielen die USA und Grossbritannien?

Die USA und Grossbritannien pflegen enge Beziehungen zur nigerianischen Regierung. Sie haben grosse Summen in Ausbildung und Bewaffnung des nigerianischen Militärs investiert. «In eine Armee, die jetzt tatenlos zuschaut, wie Christen aus ihrer Heimat vertrieben werden», kritisierte Veldkamp. Am 5. und 6. Juli fand in London eine Ministerkonferenz über Religions- und Glaubensfreiheit statt. Joel Veldkamp, der für CSI, an der Konferenz teilnahm, äusserte sich kritisch: «Wir erleben in Nigeria die wohl tödlichste religiöse Verfolgung weltweit, ohne dass die USA und Grossbritannien ihren Einfluss nutzen, um sie zu stoppen. Wird die Lage im Middle Belt überhaupt thematisiert?» Der Middle Belt sei «das Thermometer an dem die Ernsthaftigkeit des Engagements der USA und Grossbritanniens für die Religionsfreiheit in Nigeria gemessen» werde. Veldkamp wird deutlich: «Dort ist eine ethnische Säuberung im Gang, ein Völkermord in Zeitlupe.» Wenn es einer Regierung wirklich um Nigeria und die Religionsfreiheit gehe, dann gebe es nur eine Forderung: «Stoppt das Morden! Rettet den Middle Belt!»

Fiona Bruce: „Nigeria wird zunehmend ein Thema im Unterhaus“

Gast im Online-Panel war unter anderem die britische Abgeordnete und Sonderbeauftragte für Religions- und Glaubensfreiheit, Fiona Bruce. Sie bedankte sich für die «überzeugende Präsentation» von Joel Veldkamp und versprach, deren Inhalt an die für Afrika zuständige Ministerin, Vicky Ford, weiterzuleiten. Bruce machte den Menschenrechtsorganisationen Mut, den Druck aufrechtzuerhalten. Sie selbst habe vor kurzem im Unterhaus eine dringende Anfrage gestellt und eine erste Debatte habe bereits stattgefunden. Im britischen Unterhaus werde Nigeria zunehmend zu einem Thema. Zur US-Politik in Nigeria äusserte sich Bruce frustriert.

US-Senatoren unterstreichen den Appell von CSI

Am 22. Juni hatte der internationale Präsident von CSI, Dr. John Eibner, die britische Aussenministerin Liz Truss aufgefordert, an der Ministerkonferenz fürReligions- und Glaubensfreiheit eine Resolution vorzuschlagen, in der US-Aussenminister Antony Blinken aufgefordert wird, Nigeria wieder als «Land von besonderem Interesse» in Bezug auf religiöse Verfolgung einzustufen. Eine Woche darauf, am 29. Juni, folgten fünf US-Senatoren (Josh Hawley, Marco Rubio, Mike Braun, James Inhofe und Tom Cotton) diesem Aufruf von CSI. Auch sie forderten Aussenminister Blinken dazu auf, Nigeria wieder auf die Liste zu nehmen.

Appell zu mehr Zusammenarbeit

Die Internationale Ministerkonferenz zur Religions- und Glaubensfreiheit (FoRB) sollte das Bewusstsein schärfen für die aktuellen Herausforderungen, mit der die Religionsfreiheit weltweit konfrontiert wird. Gleichzeitig sollen die Bemühungen zum Schutz der Religionsfreiheit koordiniert und vorangetrieben werden. Das Ziel ist klar: Menschen sollen nicht wegen ihrer Weltanschauung oder ihrer Religion diskriminiert oder verfolgt werden. So ist es in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben. Im abschliessenden Statement der Londoner Konferenz wird noch einmal betont: «Jeder Mensch hat überall das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, und jeder Mensch hat das Recht, einen beliebigen Glauben oder eine beliebige Weltanschauung zu haben – oder auch gar keinen – und die Freiheit, seinen Glauben zu wechseln.» Dies wird heute in vielen Ländern in Frage gestellt. Die Auswirkungen sind tiefgreifend. Denn die Religions- und Glaubensfreiheit ist im Rahmen der Menschenrechte bedeutungsvoll. In London wurde zum Abschluss der Konferenz dazu aufgerufen, dass Regierungen, Menschenrechtsexperten und Religionsvertreter gemeinsam den weltweiten Herausforderungen begegnen, um die Religionsfreiheit zu schützen.

„Die Regierungen haben eine andere Agenda“

Joel Veldkamp, Leiter der internationalen Kommunikation von Christian Solidarity International und Teilnehmer der Ministerkonferenz, differenziert. Die Konferenz in London habe sich einerseits als hervorragendes Treffen für die Vertreter der verschiedenen Menschenrechtsorganisationen herausgestellt. Man habe sich getroffen, Kontakte geknüpft und Ideen ausgetauscht. Andererseits hätten die Regierungen der USA und Grossbritanniens die Konferenz genutzt, ihre eigene Agenda in Sachen Religionsfreiheit zu verbreiten. Dabei seien einige der derzeit grössten Verfolgungsherde kaum erwähnt worden. Veldkamp zählt auf: «Die drohende ethnische Säuberung der armenischen Christen in Berg-Karabach, die drohende türkische Invasion im Nordirak und in Nordsyrien, wo die religiösen Minderheiten der Christen und Jesiden gefährdet sind, der schleichende Völkermord an den Christen in Zentral-Nigeria und die stark bedrängte christliche Gemeinschaft in Syrien.» Veldkamp appelliert an die Unabhängigkeit der Menschenrechtsorganisationen. «Wir dürfen keine Angst haben, über Vorkommnisse zu sprechen, welche die USA und Grossbritannien nicht ansprechen wollen.»

Rolf Höneisen

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