Nach missglücktem Fluchtversuch vier Tage gefesselt

Die heute 36-jährige Abuk Tong Apath hat eine schlimme Zeit hinter sich. Die Entführer massakrierten ihre Schwester. Als Sklavin im Sudan wurde sie regelmäßig misshandelt, vergewaltigt und gequält. Nach 21 leidvollen Jahren kann Abuk wieder ein Leben in Freiheit führen. Sie berichtet:

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«Es war ein lauer Abend. Wir hatten etwas gegessen und saßen noch vor unserem Haus. Plötzlich hörten wir Schüsse und Schreie. Mit Schrecken sahen wir, wie einige unserer Dorfbewohner gegen arabische Männer auf Pferden kämpften. Noch bevor wir die Gefahr für uns wirklich erkannten, standen schon mehrere Araber mit furchterregendem Blick vor unserem Haus.

Das Grauen vor Augen

Ich versuchte, mit meiner Schwester davonzurennen. Doch wir hatten keine Chance. Die bewaffneten Männer nahmen uns gefangen. Meine Schwester wehrte sich dabei und versuchte zu fliehen. Vor meinen Augen drückten sie sie zu Boden und schnitten ihr die Kehle durch.

Zusammen mit anderen Gefangenen aus meinem Dorf musste ich sogleich mit den arabischen Kämpfern in Richtung Norden ziehen. Nachts wurden wir in einem Gehege eingesperrt. Drei Dinkas versuchten zu fliehen. Doch die Araber fingen sie wieder ein und brachten sie zu uns. Mir stockte der Atem, als wir zusehen mussten, wie die wehrlosen Männer abgeschlachtet wurden.

Aber es kam für mich noch viel schlimmer. Obwohl ich schwanger war, vergewaltigten mich die Entführer drei Mal auf brutalste Weise, sodass ich mein Kind verlor.

Ich musste unter dem Schrank schlafen

Als wir nach tagelangem qualvollem Marsch im Norden in einem Dorf namens Nuud ankamen, wurde ich als Sklavin an Salim Abaram übergeben. Mein Gebieter hatte vier Frauen und 18 Kinder. Während all der Jahre als Sklavin wurde ich sehr schlecht behandelt. Ich wurde gezwungen, extrem viel und hart zu arbeiten. Jeden Tag musste ich die Kühe melken, Wasser schleppen, Getreide mahlen und die Kleider und das Geschirr waschen. Ebenso musste ich das Haus wischen und kochen.

Ich selbst erhielt pro Tag nur eine Tasse Milch und die Essensresten. Das reichte niemals aus, um satt zu werden. Selbst wenn es ums Schlafen ging, konnten sie es nicht lassen, mich zu schikanieren. Ich musste mit knurrendem Magen auf dem harten Boden unter einem Schrank schlafen. Dabei ließen sie mich nachts nicht länger als drei Stunden in Ruhe.

Immer wieder beschimpften sie mich mit «Jengai» (Neger). Mein Sklavenhalter Salim und seine Frauen schlugen mich sehr oft und befahlen auch den Kindern, dass sie mich verprügeln sollten. Häufig schickten sie die Kinder zu mir, wenn ich mich nach der strengen Arbeit kurz ausruhen wollte. Ich hatte ständig Angst, denn ich wusste, dass sie mich gnadenlos verdreschen würden.

Vier Tage ohne Nahrung gefesselt

Als wir einmal den Viehmarkt besuchten, glaubte ich, dass die Gelegenheit günstig sei, und versuchte zu fliehen. Doch meine Peiniger fingen mich wieder ein. Zur Strafe fesselten sie mich vier Tage lang und ließen mich hungern. Ich dachte, ich würde sterben. Von da an wagte ich es nicht mehr, davonzulaufen.

Eines Tages kam ein fremder Mann zu Salims Haus. Ich sah, wie er mit meinem Gebieter redete und ihm etwas Weißes gab. Dann kam Salim auf mich zu und sagte mir, dass ich mit dem Mann gehen könne.

Ehefrau wollte mich zurückhalten

Ich hatte bereits zuvor von Ahmed (Name geändert) gehört. In der Familie wurde oft über ihn gesprochen. Ich wusste deshalb gleich, dass er mich ins Dinkaland (Südsudan) zurückbringen würde. Ich freute mich riesig. Doch eine der vier Frauen war mit dem Entscheid, mich gehen zu lassen, überhaupt nicht einverstanden. Sie stritt deshalb heftig mit Salim. Doch Gott sei Dank änderte er seine Meinung nicht.

Die Angst während der Rückführung

Auf dem Weg in unsere Heimat behandelte uns Ahmed sehr gut. Wir erhielten genug zu essen und auch neue Kleider. Ich hatte unterwegs aber große Angst, dass wir erneut gefangen genommen werden könnten. Manchmal sahen wir von weitem Polizisten und Soldaten. Zum Glück entdeckten sie uns nicht. Wir verdanken dies auch Ahmed, der uns in den brenzligen Momenten mahnte, ruhig zu sein und uns nur langsam fortzubewegen.

Sieben Tage lang dauerte dieser Rückweg, bei dem ich angespannt war und wir vorsichtig sein mussten. Als wir die Grenze zum Südsudan passiert hatten, wusste ich, dass wir nun frei waren. Ich bin sehr froh, wieder hier zu sein. Ich hoffe, die Kinder meiner getöteten Schwester zu finden. Herzlichen Dank, dass Sie mich gerettet haben.»

Reto Baliarda

 


 

«15 Dollar für ein Leben» – Ein fesselndes Buch (Kommentar von Benjamin Zürcher)

Der Journalist Daniel Gerber präsentierte mit seinem Buch «15 Dollar für ein Leben» ein mutiges, informatives und spannendes Werk. Seine spannenden Analysen im hinteren Teil der Lektüre zum Sudan und dem pointenreichen Anfang zeichnen das Werk aus. Das Buch teilt sich in drei Teile ein: Der erste Teil sind die persönlichen Erlebnisse des Autors im Sudan, der Hauptteil erzählt die Geschichte von Helena Adelino, und im letzten Teil nimmt Daniel Gerber die Leser mit in die Geschichte und Gegenwart des Sudans.

Der Hauptteil des Buches beginnt mit dem fröhlichen Kinderleben von Helena Adelino, einem kleinen schwarzafrikanischen Mädchen im Südsudan. Doch mitten in das unbeschwerte Leben des kleinen Mädchens wird ein Schlussstrich gezogen: Eine arabische Miliz überfällt ihre Stadt, tötet die Erwachsenen und versklavt die Kinder. So auch die kleine Helena. Nach einem langen Marsch in den Nordsudan wird sie als Sklavin verkauft. Ihr Sklavenleben ist geprägt von Misshandlungen, Vergewaltigungen und vom radikal ausgelebten Islam. Erst als sie schon vierfache Mutter war und ihre Heimatsprache verlernt hatte, plante sie ihre Flucht zurück in ihre Heimat …

Fazit: Das hochinteressante Werk von Daniel Gerber ist nicht nur spannend geschrieben, sondern erzählt auch von einem grossen Menschenrechtsskandal, der noch heute Nachwirkungen mit sich bringt, obwohl der Südsudan schon längst ein unabhängiger Staat ist. Das Buch ist wertvoll. Nicht nur, weil es den Leser fesselt, sondern auch, weil es die Wahrheit erzählt. Auch wenn die Wahrheit in diesem Fall erschütternd ist. n

 

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