Neue Perspektiven für Flüchtlinge aus Berg-Karabach

Die fünffache Mutter Anush musste mit ihren Kindern eine dramatische Flucht überstehen, als im Herbst 2021 der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan ausbrach. Die Familie stand neben einem vollen Auto, als dieses von einer Drohne zerstört wurde. Nach der Nothilfe der CSI-Partner sollen Anush und andere armenische Flüchtlinge neue Perspektiven erhalten.

Die armenische Projektpartnerin mit Heghines Familie. Da ihr landwirtschaftliches Grundstück in die Hände von Aserbaidschan gefallen ist, kann die Familie wohl für längere Zeit nicht zurück nach Berg-Karabach. (csi)

Der 27. September 2020 ist ein Datum, das Anush (Name geändert) aus Martakert in Berg-Karabach wohl nie vergessen wird. «Kurz vor neun Uhr morgens hörten wir seltsame Geräusche: Aserbaidschan griff unsere Stadt an», so der Beginn ihrer Leidensgeschichte. Der Krieg hatte begonnen. Anushs Familie und ihre Nachbarn wussten, dass sie keine andere Wahl hatten, als zu fliehen. «Wir verliessen Martakert zu zwölft, eingepfercht in unserem kleinen Auto.»

Traumatisches Erlebnis

Sie hatten kaum den Stadtrand erreicht, als die Polizei sie anhielt. «Sie warnte uns eindringlich vor herumfliegenden Drohnen und forderte uns auf, unter den Bäumen am Strassenrand in Deckung zu gehen. Wir hatten das Auto gerade verlassen, als eine Drohne den Wagen neben uns traf.» Keiner der Insassen überlebte. «Einer meiner Söhne begann unkontrolliert zu zittern. So verängstigt war er, nachdem er gesehen hatte, wie ein Kind direkt vor seinen Augen starb.»

Unendlich dankbar – Wunsch nach Rückkehr

Die Polizei brachte Anushs Familie zur medizinischen Abklärung ins Spital von Stepanakert, der De-facto-Hauptstadt von Berg-Karabach. Anschliessend floh sie nach Armenien.

Anush wird die Unterstützung nie vergessen, die sie nach der sicheren Ankunft in Armenien erhielt. «An diesem Tag schliefen wir mit zwölf Leuten im Haus eines Fremden. Wir bekamen Kleidung und zu essen.» Die gleiche Gastfreundschaft erfuhren sie, als sie die Hauptstadt Eriwan erreichten. «Dank der Hilfe konnten wir wieder auf die Beine kommen. Meine Kinder gehen zur Schule. Einer meiner Söhne, der schwer traumatisiert ist, erhält die entsprechende psychologische Unterstützung.»

Für die lebenswichtige Hilfe in Armenien ist die geflüchtete Familie unendlich dankbar. «Aber der grösste Wunsch unserer Kinder ist es, in unsere Heimat zurückzukehren. Dort liegen unsere Wurzeln. Für uns ist das Geheimnis des Überlebens der Menschen in Berg-Karabach der Respekt vor der Vergangenheit und die Weitergabe unserer Traditionen an unsere Kinder», schloss Anush.

889 Menschen geholfen

Anush und ihre Familie gehören zu den 889 Menschen, die durch ein Nothilfeprojekt in Zusammenarbeit mit der armenisch-katholischen Kirche von CSI unterstützt wurden. Es ist eines von mehreren Projekten in Armenien und Berg-Karabach, die wir dank Spenden aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich in der Region starten konnten.

«Durch den Krieg wurden über 60 Prozent der Bevölkerung aus Berg-Karabach vertrieben», erklären unsere Partner. Die Flüchtlinge wurden in Armenien durch CSI mit Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern (Decken, Kissen, Kleidung und Medikamenten etc.) versorgt sowie bei der Bezahlung von Miete und medizinischer Behandlung unterstützt.

Neues Leben – Ungewisse Zukunft

Bei all dem fürchterlichen Leid gab es auch Anlass zur Freude, wie die Geburt eines Kindes. Die Familie erhielt einen Kinderwagen und ein Kinderbett. «Ihre Zukunft ist ungewiss», betonen unsere Partner.

Die Mutter Heghine (Name geändert) und ihre Familie stammen aus dem Dorf Karmir Shuka. Nach dem Waffenstillstand, der am 10. November 2020 in Kraft trat, «kamen 123 armenische Dörfer aus sieben Regionen Karabachs unter die Kontrolle Aserbaidschans.» Karmir Shuka wurde in zwei Hälften geteilt: Während Heghines Haus auf der karabachischen Seite liegt, befinden sich ihre Apfelplantage und der Rest ihrer landwirtschaftlichen Flächen seit kurzem unter aserbaidschanischer Herrschaft.

Perspektiven im «fremden Land»

Die Flüchtlinge aus den Dörfern, die an Aserbaidschan abgetreten wurden, haben keine Hoffnung, in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückzukehren. «Etwa 35 000 Flüchtlinge aus Berg-Karabach werden bis auf Weiteres in Armenien bleiben», schätzen unsere Partner.

Einige haben die Mittel, um in Armenien selbstständig neu anzufangen, aber viele werden weiterhin auf humanitäre Hilfe angewiesen sein, wenn sie keine Arbeit finden. Wir haben daher ein neues Projekt gestartet, um bedürftigen Flüchtlingen bei der Wiederaufnahme ihrer früheren beruflichen Tätigkeiten (vielfach Landwirtschaft) zu helfen. «Es ist entscheidend, dass wir eine nachhaltige, langfristige Lösung für diese Familien finden», schliessen unsere Partner.  Projektleiterin Armenien/Berg-Karabach

 

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