«Nigeria sollte sich auf die eigenen Probleme fokussieren»

Nach dem Militärputsch in Niger am 26. Juli 2023 droht die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), allen voran Nigeria, mit einem Einmarsch. Der nigerianische CSI-Forschungsbeauftragte Franklyne Ogbunwezeh erklärt im Interview unter anderem, warum von einer militärischen Intervention besser abzusehen ist.

Frauen aus dem nigerianischen Bundesstaat Borno bereiten ein Essen zu. Borno ist einer der Gliedstaaten, der an Niger grenzt. csi

CSI: ECOWAS droht nach dem Putsch und der Absetzung von Präsident Mohamed Bazoum mit einem militärischen Einsatz in Niger. Wer gehört Ihrer Ansicht nach zu den lautesten Befürwortern eines Einmarsches?

Franklyne Ogbunwezeh: Der nigerianische Präsident Bola Ahmed Tinubu, die US-Regierung, die EU und die französische Regierung sind die führenden Befürworter einer militärischen Intervention in Niger. Die Vereinigten Staaten und die EU verfügen über erhebliche militärische Mittel in Niger. Ebenso haben sie politische Interessen im westafrikanischen Land. Frankreich bezieht gegenwärtig 32 Prozent des Urans für seine Stromerzeugung aus Niger. Die US-Streitkräfte haben überdies dort eine Drohnenbasis.

Laut der Nachrichtenagentur Fides sind sieben nördlichen nigerianischen Bundesstaaten, die an Niger grenzen, gegen eine militärische Lösung. Was könnte der Grund für ihre Haltung sein?

53 Prozent der Bevölkerung der Republik Niger sind Hausas. In Nigeria sind es zwischen 25 und 30 Prozent. Die meisten von ihnen leben im Norden des Landes an der Grenze zu Niger. Die Hausas in beiden Ländern betrachten sich trotz der von den Kolonialherren gezogenen Grenzen als Geschwister. Sie haben gemeinsame stammesgeschichtliche und kulturelle Wurzeln. Die Hausas im Norden Nigerias befürchten, dass aufgrund der gemeinsamen Grenze jeder Krieg gegen Niger ihre Staaten, die zumeist an Niger grenzen, destabilisieren würde.

Niger beherbergt zudem 300‘000 nigerianische Flüchtlinge, die vor dem Terror von Boko Haram geflohen sind. Diese Flüchtlinge laufen Gefahr, bei einer bewaffneten Konfrontation zwischen den beiden Ländern ins Kreuzfeuer zu geraten.

Auch die westafrikanische Bischofskonferenz ist klar gegen eine militärische Auseinandersetzung mit Niger. Können Sie deren Haltung verstehen?

Ich kann ihre Haltung gut verstehen. Nigeria hat viele innenpolitische Probleme wie die Verfolgung von Christen in den zentralen Regionen durch Fulani-Dschihadisten, terroristische Aufstände oder auch den wirtschaftlichen Abschwung. Das Land kann es sich nicht leisten, Ressourcen für die Bekämpfung ausländischer Kriege auszugeben. Viel besser sollte sich Nigeria auf die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Probleme im eigenen Land fokussieren.

Im Übrigen lehnen etliche prominente Stimmen in Afrika ein militärisches Vorgehen in Niger immer deutlicher ab. Auch in Nigeria, von dem erwartet wird, dass es Truppen zu einer Militäroperation beisteuert, ist diese Zurückhaltung zu beobachten. So hat sich der nigerianische Senat geweigert, Präsident Tinubu die Befugnisse zu erteilen, die er für eine Intervention in Niger benötigt.

Welches sind die Hauptgründe, dass Tinubu in Niger einmarschieren will, sofern Mohamed Bazoum nicht freigelassen und wieder als Präsident eingesetzt wird?

Der nigerianische Präsident bereitet den Krieg in Niger vor, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens, um in den Augen des Westens eine gewisse Legitimität zu erlangen. Denn schliesslich sind die Wahlen, die ihn an die Macht brachten, durch Unregelmässigkeiten beeinträchtigt. Zweitens will er von dem Scheitern seiner Wirtschaftspolitik und den dadurch verursachten innenpolitischen Problemen ablenken.

Nehmen wir an, dass ECOWAS doch nichts unternimmt und die Militärjunta in Niger ohne Blutvergiessen an der Macht bleibt. Was hätte dies für Folgen in Westafrika?

Niemand kann sagen, welche Auswirkungen das haben wird. Viele afrikanische Politiker haben die Demokratie in Afrika so sehr beschädigt, dass das Volk nun die Putschisten unterstützt. Wenn die Politiker ihre Lektion nicht lernen, wird dieser Putsch in Niger – wie auch andere vor ihm – mehr Soldaten in der ganzen Region ermutigen, Zivilregierungen zu stürzen, die nicht funktionieren.

Interview: Reto Baliarda

Franklyne Ogbunwezeh: The coup in Niger and the threat of war (Video-Interview auf Englisch)

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Evans Aneke
18. August 2023
A brilliant expert analysis of the situation in Niger and the wider Sahel region. This is a conflict that must be avoided at all costs. Vielen Dank!