Pastorenfamilie in ständiger Angst vor Hinduextremisten-Nachbarn

Weil sich die Familie von Pastor Mukunda weigerte, für ein Hindu-Fest zu spenden, schlugen ihn seine Nachbarn spitalreif. Dank eines Pastorennetzwerks, das CSI unterstützt, kann Pastor Mukunda Schutz und Hilfe bekommen.

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Südlich von Tamil Nadus Hauptstadt Chennai deutet wenig auf das moderne, pulsierende Leben der Millionen-Metropole hin. Die Gegend wird immer unwirtlicher und verlassener, und die Strassen werden enger, je weiter wir uns von Chennai entfernen. Nach etwa zwei Stunden erreichen die CSI-Mitarbeiterin und ich, begleitet von einheimischen Partnern, ein abgelegenes Dorf. In Anbetracht der Anspannung, die hier herrscht, mutet die Ruhe gespenstisch an. Direkt neben einem grossen Hindu-Tempel halten wir vor einer kleinen Kirche an.

Freundlich heisst Pastor Mukunda* uns in seiner Kirche willkommen, in der sich am Sonntag etwa 30 mutige Christen treffen. Sie haben den Anfeindungen aus der Nachbarschaft bisher standgehalten.

Im dunklen, aber gemütlichen Gottesdienstraum begegnen wir zwei jungen Mitgliedern und der Pastorenfamilie. Sowohl Pastor Mukundas Vater als auch seine Frau und die zwei Kleinkinder leben seit einem schrecklichen Vorfall im Sommer 2018 in ständiger Angst. Dennoch bleibt der Pastor ruhig, als er uns die Geschehnisse schildert.

Folgenschwere Attacke wegen unterlassener Spende

Letzten Sommer stand ein Hindu-Fest zu Ehren der Hindu-Göttin Draupadi vor der Tür. Die Organisatoren sammelten fleissig Geld und baten auch Pastor Mukunda um eine Spende. «Für mich war klar, dass ich als Christ dieses Fest nicht unterstützen würde. Also gab ich nichts», berichtet er. Dem Pastor war bewusst, dass sein Entscheid den Zorn der Nachbarn auf sich ziehen könnte. Denn schon einige Wochen zuvor war eine christliche Familie im Dorf angegriffen worden.

Während die kleine Kirchgemeinde am darauffolgenden Sonntag Gottesdienst feierte, hatten draussen zornige Hinduextremisten die Kirche umzingelt. Als die Gläubigen herauskamen, wurden sie beschimpft und attackiert. Die Extremisten schlugen die Ehefrau des Pastors und fügten seinem Vater gefährliche Brandwunden am linken Fuss zu. Der ältere Mann zeigt uns die übel aussehende Verletzung.

Noch schlimmer erging es dem Pastor selbst: «Wutentbrannt rannten unsere Nachbarn auf mich los und schlugen mit einem Stein auf meinen Kopf ein. Ich blutete stark und fiel in Ohnmacht», erzählt Pastor Mukunda, während seine Frau traurig anfügt: «Ich fürchtete, sie würden meinen Mann töten!»

Freunde brachten den schwerverletzten Pastor ins nächstgelegene Krankenhaus.

Erdrückende Angst

Noch heute spürt Pastor Mukunda Schmerzen am Kopf. Doch die seelischen Wunden, die der Übergriff der Hinduextremisten-Nachbarn hinterlassen hat, sitzen noch tiefer. Die Familie fühlt sich den Nachbarn oft schutzlos ausgeliefert. Im Dorf werden sie häufig schikaniert und angepöbelt. Die Nachbarn drohen, dass man ihnen die Strom- und Wasserversorgung kappen werde. Nur wenige Tage vor unserem Besuch hatten die Nachbarn während des Hindu-Fests «Diwali» Feuerwerk auf das Strohdach der Kirche geworfen. Es grenzt an ein Wunder, dass das Dach nicht in Flammen aufging.

Die Pastorenfamilie weiss, dass sie jederzeit wieder angegriffen werden kann. Unter dieser erdrückenden Angst leidet besonders Pastor Mukundas Ehefrau. Während unserem Gespräch verlässt sie mit ihrem zehnmonatigen Töchterchen im Arm immer wieder den Raum, weil sie vor Verzweiflung mit den Tränen kämpft. Sie hat Angst um ihre Kinder. Kommt dazu, dass die Pastorenfamilie beim nächsten religiösen Hindu-Fest wohl erneut um eine Spende gebeten wird. «Doch da sind wir uns einig. Wir werden auch in Zukunft nichts dafür bezahlen», betont das Pastorenpaar. Pastor Mukundas Vater und die zwei jungen Christen nicken zustimmend.

Pastorenforum soll kleine Kirchen stärken

Auf die Unterstützung der Polizei kann Pastor Mukunda nicht zählen. Im Gegenteil: Die Polizei verhörte ihn, weil die Hindu-Extremisten ihn nach dem Übergriff der Zwangskonversion beschuldigten.

Umso wichtiger ist es für gefährdete Pastoren wie Mukunda, mit dem Pastorenforum «Legal Forum for Churches» eine Anlaufstelle zu haben, die sie jederzeit kontaktieren können. Rund 50 Pastoren aus der Region Chennai gehören diesem Forum an, das von Anita* mit der Hilfe von CSI gegründet wurde. Die Pastoren treffen sich jeden Monat und berichten über aktuelle Entwicklungen in ihrem Gebiet.

Unter der Leitung von Pastor Kumar* trägt eine fünfköpfige Kerngruppe die Vorfälle zusammen und leitet sie an Anita weiter. Die Kerngruppe, die wöchentlich zusammenkommt und der auch zwei Juristen angehören, entwickelt Schulungen für Pastoren. Sie werden über ihre Rechte und Gesetze informiert, damit sie bei Angriffen gewappnet sind, erhalten Tipps für ein gutes Einvernehmen mit den Hindu-Nachbarn und – besonders wichtig – bekommen eine Notfallnummer.

Bei unserem Besuch trafen wir 30 Pastoren, die dem Forum angehören. Einige von ihnen sind selbst Opfer eines Hinduextremisten-Mobs. Die Pastoren unterstreichen, wie sie in dieser kurzen Zeit dank dem Forum viel über ihre Rechte gelernt haben und deshalb mutiger auftreten. Pastor Digal* beispielsweise erzählt, wie er bei der Polizeiwache dank der Schulung den Mut fand, sich rechtlich zu verteidigen und seine Ankläger zum Schweigen brachte, die ihm Zwangskonversion vorgeworfen hatten.

Die kleinen Kirchen streben einen Zusammenschluss zu einer Dachvereinigung an, um mehr Gewicht zu erhalten. Zudem ist die Tatsache, dass mit Anita eine Juristin aus Delhi hinter den Pastoren steht, äusserst hilfreich. Dies kann potenzielle Angreifer abschrecken, da sie so bei einem Übergriff mit einem Verfahren rechnen müssen und nicht auf die weitverbreitete Straflosigkeit vertrauen können.

Zunehmende Gefahr wegen politischer Anstachelung

Dass Pastoren aus kleinen ländlichen Kirchen in Tamil Nadu zusammenstehen, wird immer bedeutsamer. Ihnen fehlt der Schutz einer grossen Kirche. Überdies hat die Anzahl der religiös motivierten Übergriffe auf Christen im südlichen Bundesstaat seit 2015 sprunghaft zugenommen. Damals kam mit Premierminister Narendra Modi die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) an die Macht. «Vor 2015 war die Lage für uns Christen in Tamil Nadu weitgehend ruhig», bemerkt Pastor Kumar. 2018 wurden 292 Übergriffe auf Christen registriert. Die Dunkelziffer liegt um einiges höher.

Eine Bedrohung stellt die radikal-hinduistische Kaderorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) dar, die der Regierungspartei BJP nahe steht. Das Ziel der RSS ist es, ganz Indien dem Hinduismus zu unterwerfen. Sie setzt in allen Dörfern Kontrolleure ein, die genau Buch führen, wie viele Menschen zum Christentum konvertieren und wo Kirchen gebaut werden. Besonders beängstigend ist, dass RSS-Mitglieder oft politisch gefördert werden, wenn sie Christen angegriffen haben.

Bei all der Bedrohung ist es ermutigend, dass die Pastoren rechtliche Unterstützung erhalten, sich untereinander besser vernetzen und so gegenseitig helfen können. Dazu Pastor Kumar: «Wird eine Kirche in unserer Region angegriffen, so ist es unsere Pflicht, dass wir uns um die Opfer kümmern.» 

Reto Baliarda

* Namen aus Sicherheitsgründen geändert

 


 

Worunter Christen in Indien leiden

Die indische Anwältin und CSI-Projektpartnerin Arora beschreibt in dieser Broschüre kurz und doch umfassend die Einschränkungen, unter denen Christen in Indien heute leiden.

Es ist zum einen die zunehmende hinduextremistische Gewalt, die durch die Untätigkeit der Polizei noch gefördert wird. Die Opfer werden kaum entschädigt. Zum anderen leiden die Christen auch unter gesetzlichen Einschränkungen der Religionsfreiheit, namentlich den Antikonversionsgesetzen und einem Präsidentenerlass von 1950, der christlichen und muslimischen Dalits die Sonderrechte vorenthält, die Hindu-Dalits geniessen.

Hier können Sie die Broschüre bestellen.

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