27. März 2020

Regierung und Gesellschaft machen Christen das Leben schwer

Es ist heute kaum vorstellbar: Vor einigen Jahrhunderten war Ägypten ein christliches Land. Heute werden Christen von allen Seiten bedrängt: Von Christenhassern aus der Gesellschaft, von islamistischen Kämpfern und von der Regierung.

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Catherine Ramzi fiel blutend zu Boden. Die Lebensmittel, die sie bei sich hatte, verstreuten sich auf dem Trottoir. Ein Mann hatte ihr die Kehle aufgeschlitzt. Passanten eilten zu Hilfe, schlugen auf den Täter ein und führten ihn weg, während er schrie: «Ich werde dich töten, weil du mit unbedecktem Haar gehst!» Im Vorort von Kairo, in dem Catherine lebt, hatte ihr unbedecktes Haar sie als Christin gekennzeichnet.

Hass gegen Christen

Nur zwei Tage später, am 14. Januar 2020, wurde in einem anderen Vorort von Kairo ein Christ beinahe getötet. Der Täter sagte der Polizei nach seiner Verhaftung: «Ich hasse Christen. An ihnen muss die Höchststrafe vollzogen werden.» Über beide Fälle berichtete die koptische Menschenrechtsorganisation Coptic Solidarity.

Diese Angriffe zeigen, welchen Bedrohungen Christen in Ägypten ausgesetzt sind. Die Gefahr geht zum einen von islamistischen Terrorgruppen wie dem Islamischen Staat aus. Doch auch in der Gesellschaft allgemein ist Hass gegen Christen weit verbreitet. Dazu kommt eine Regierung, die sie diskriminiert.

Zuerst die Mehrheit, heute bedrängte «Ungläubige»

Das war nicht immer so. Die meisten ägyptischen Christen sehen sich als Ureinwohner Ägyptens und bezeichnen sich deshalb als «Kopten», ein Begriff, der vom griechischen Wort für «Ägypter» abstammt. Ägypten war bis zur islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert ein christliches Land; bis zum 12. Jahrhundert bekannte sich die Mehrheit zum christlichen Glauben. Christen und Muslime lebten weitgehend friedlich zusammen. In den 1910er und 1920er Jahren waren Christen auch Teil der Unabhängigkeitsbewegung gegen die Briten.

Die Situation verschlechterte sich in den 1970er Jahren rasant. Der ägyptische Diktator Anwar as-Sadat – Friedensnobelpreisträger wegen seines Friedensvertrags mit Israel – verbündete sich mit muslimischen Extremisten, die Christen «Ungläubige» (kuffar) nannten und ihre Diskriminierung förderten. Der Islam wurde zur Staatsreligion, der Bau neuer Kirchen praktisch verunmöglicht.

Angriffe auf Christen nahmen zu. Anstatt die Täter zu bestrafen, zwang die Regierung die christlichen Opfer häufig zu «Versöhnungs-Treffen» mit ihren Angreifern. Diese endeten oft damit, dass die Christen dem Druck nachgaben und sich bereit erklärten, ihre Häuser zu verlassen oder ihre Kirchen aufzugeben.

2009 und 2012 rüttelte CSI die Öffentlichkeit auf mit zwei Berichten zur Zwangsverheiratung und Zwangskonversion von jungen Christinnen – was bis heute weit verbreitet ist. Im diskriminierenden ägyptischen Rechtssystem ist es nach dem Übertritt zum Islam nahezu unmöglich, zum Christentum zurückzukehren.

Gewalt nimmt zu – Schutz bleibt aus

Viele Christen hatten gehofft, dass die ägyptische Revolution von 2011 zu einer echten Demokratie führen würde, in der Christen und Muslime wirklich gleichberechtigt sind. Im Chaos, das auf die Revolution folgte, nahmen Angriffe auf Kirchen durch islamistische Gruppen jedoch massiv zu, und die ersten freien Wahlen gewann die radikale Muslimbruderschaft.

Bei der Absetzung der Muslimbruderschaft 2013 versprach das ägyptische Militär den Christen Schutz. Doch als islamistische Gruppen auf die gewaltsame Niederschlagung eines Sitzstreiks in Kairo am 14. August 2013 mit Angriffen auf Christen reagierten, tat die Militärregierung wenig, um sie zu schützen. In ganz Ägypten brannten die Islamisten Dutzende Kirchen und christliche Schulen nieder.

In den letzten fünf Jahren wurden in Ägypten gemäss dem Wall Street Journal über 140 Christen getötet, die meisten von ihnen bei Angriffen auf Kirchen und Klöster durch islamistisch-terroristische Gruppen. Auch Mob-Angriffe sind häufiger geworden, wie jener im Jahr 2016, als eine ältere Christin nackt durch die Strassen geschleift wurde, weil ihr Sohn angeblich eine Affäre mit einer Muslimin hatte.

Christen, die sich beschweren, sehen sich Repressalien der Regierung ausgesetzt. Ein Beispiel ist der prominente koptische Menschenrechtsaktivist Ramy Kamel, der am 23. November 2019 unter dem willkürlichen Vorwurf des «Terrorismus» verhaftet wurde und bis heute (Stand: 05. 03. 20) inhaftiert ist.

Gehen oder bleiben

In dieser Situation haben viele Christen Ägypten verlassen, um in Europa, Australien, Kanada oder den USA eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder zu suchen.

Viele andere sind jedoch entschlossen, zu bleiben und für ihren Platz in der Heimat zu kämpfen. Sie tragen die Erinnerung an ihre Vorfahren im Herzen, die trotz Verfolgung das Licht des Evangeliums am Leben hielten. Zum Glück gibt es auch muslimische Freunde und Nachbarn, die sie dabei unterstützen und deren Wunsch es ist, dass Christen die Zukunft Ägyptens mitgestalten.

Joel Veldkamp

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