Die kleine Aluel schrie unaufhörlich, als der muslimische Sklavenhalter Mohamed Ali sie ihrer weinenden Mutter entriss. Als rechtlose Sklavin musste sie die fürchterlichsten Erniedrigungen ertragen. Dass sie vor kurzem fliehen konnte, verdankt sie einer Frau von Mohamed.
Die heute 25-jährige Aluel Wal Anei kam in einem Vertriebenenlager in der sudanesischen Stadt Adilah zur Welt. Ihre Eltern wurden aus dem damaligen Süden des Sudans verjagt und fanden im Flüchtlingscamp von Adilah Zuflucht. Um über die Runden zu kommen, verrichtete die Mutter den Haushalt bei sudanesischen Familien. Ihr Vater arbeitete auf nahegelegenen Bauernhöfen.
Aluel war noch ein kleines Kind, als eines Tages muslimische Sklavenhalter ins Lager eindrangen. Gewaltsam entrissen sie viele Kinder ihren Eltern. Auch Aluel gehörte zu den Entführungsopfern. «Vor den Augen meiner Mutter nahm mich ein Mann namens Mohamed Ali mit. Er sagte mir, dass ich bei ihm zuhause arbeiten werde. Am helllichten Tag als kleines Kind von der Familie weggezerrt zu werden, war so schrecklich. Ich konnte nur noch weinen. Doch niemand konnte mir helfen!» betont Aluel. Mohamed war bei der Entführung bewaffnet und feuerte einen Schuss ab. «Damit machte er allen klar, dass er jeden töten würde, der mich hätte befreien wollen.»
Bei Mohameds Grossfamilie mit drei Frauen und 12 Kindern musste Aluel das Haus putzen, Geschirr waschen und Wasser holen. Sie arbeitete täglich mehrere Stunden, wurde jedoch als Sklavin verachtet und als «dreckige Schwarze» angepöbelt. «Verglichen mit den Sudanesen bin ich sehr schwarz», bemerkt sie. Doch die junge Frau wurde auch körperlich gequält. So musste sie die schmerzhafte Genitalverstümmelung über sich ergehen lassen.
Zudem wurde sie von Mohameds Söhnen vergewaltigt. «Sie konnten mit mir schalten und walten, wie sie wollten», erzählt Aluel, die viel weinte, wenn sie nachts allein war. «Dabei bat ich Gott, mir zu helfen.»
Gott erhörte ihre Gebete. Die Hilfe kam von unerwarteter Seite: Eine von Mohameds Frauen erzählte ihr heimlich, dass sich ein sudanesischer Geschäftsmann in der Umgebung aufhalten würde, der Sklaven in ihre Heimat, den Südsudan, bringen würde. Sie würde ihr bei der Flucht nachts helfen, wenn alle schlafen. «Ich zögerte zuerst. Doch sie ermutigte mich, zu flüchten», erinnert sich Aluel an den Wendepunkt ihres Lebens. Schliesslich ergriff sie am 23. Januar 2022 die Chance und floh zum Befreier. Dieser nahm sie mit in sein Lager mit anderen befreiten Sklaven. Am nächsten Tag brachen alle auf und erreichten nach einigen Tagen sicher den südsudanesischen Bundesstaat Nördlicher Bahr-el-Ghazal, wo sie von CSI empfangen wurden.
Sklavenbefreier Hassan (Name geändert) stammt aus der westsudanesischen Region Darfur. Der Geschäftsmann gehört dem Komitee der Befreier an. Dieses war mitten im Bürgerkrieg in den 90er Jahren von arabischen Stammesältesten aus Meiram (Sudan) und einer Gruppe Dinkahäuptlinge aus Warawar (heute Südsudan) gegründet worden. «Es ist unser Ziel im Komitee, alle Sklaven aus der Gefangenschaft im Sudan zu befreien», macht Hassan deutlich.
Im sudanesischen Gebiet, wo heute noch viele Sklaven leben, gibt es gemäss Hassan Bauernhöfe mit bis zu 10‘000 Rindern. Die Bauernfamilien haben zu wenig Arbeitskräfte für diese riesigen Betriebe. Deshalb nähmen sie noch so gerne billige Arbeitskräfte aus dem Süden, die ausser dem knappen Essen häufig nichts erhalten. Daran hat sich in den letzten 20 Jahren nichts geändert.
Die sudanesische Regierung lässt die Grossgrundbesitzer gewähren. Polizisten, die nach dem Rechten sehen würden, sucht man in diesen Viehlagern vergebens. Dadurch werde der diskriminierenden Behandlung von sudanesischen Arbeitern und südsudanesischen Sklaven Tür und Tor geöffnet. «Wenn ein einheimischer Arbeiter seinen Lohn nicht erhält, weiss der Sklavenhalter, dass er seine Verwandten im Nacken haben wird. So etwas muss bei den Südsudanesen nicht befürchtet werden. Niemand setzt sich für sie ein», unterstreicht Hassan.
Die meisten Sklavenhalter sind keine gläubigen Muslime. Sie beten zwar. Doch der Inhalt des Korans ist ihnen weitgehend unbekannt. «Und von Menschenrechten haben sie noch nie etwas gehört», bemerkt Hassan abschliessend.
Reto Baliarda
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