Erdbebenhilfe: Jetzt müssen die Sanktionen aufgehoben werden

Die von der Schweiz mitgetragenen Sanktionen erschweren die Erdbebenhilfe in Syrien massiv. Dies berichten u.a. die christlichen Partner von CSI in Aleppo. CSI hat den Bundesrat erneut aufgefordert, die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufzuheben. Die Antworten aus Bern geben kaum Anlass zur Hoffnung. Doch CSI bleibt dran.

Erbarmungslose Zerstörung in Aleppo. Doch die Wirtschaftssanktionen hemmen den Wiederaufbau. csi

Rund 500 Todesopfer sind in Aleppo zu beklagen. Die CSI-Partner der «Blauen Maristen» setzen sich rund um die Uhr für überlebende Opfer ein. Wochenlang wurden hunderte Betroffene beherbergt und versorgt. Nun steht die langfristige Hilfe an. So wollen die «Blauen Maristen» für Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, über ein Jahr lang die Miete in einer Wohnung bezahlen.

Federführend beim Hilfseinsatz der Blauen Maristen ist Nabil Antaki, Arzt aus Aleppo. Er ist berührt von der Grosszügigkeit vieler christlicher Organisationen aus dem Westen wie CSI, merkt aber zugleich an, dass vor allem Staaten aus Nordafrika und dem Nahen Osten Helferteams nach Syrien entsandt hätten.

Ganz anders der Westen: «Während hunderte von westlichen Flugzeugen Hilfsgüter in die Türkei brachten, landete nur ein einziges europäisches Flugzeug in Syrien.» Antaki konfrontiert den Westen mit der Frage, ob denn die betroffene Bevölkerung Syriens weniger leiden würde als die der Türkei.

In diesem Zusammenhang prangert der syrische Arzt die Wirtschaftssanktionen an, die der Westen vor über zehn Jahren gegen sein Land verhängt hatte. Diese hätten ausländische Investitionen verhindert und die syrische Bevölkerung verarmen lassen. Das Embargo vieler Produkte hätte zu einer Verknappung von Heizöl, Benzin, Brot und Strom geführt.

 

Viele Menschen in Aleppo stehen buchstäblich vor einem Trümmerhaufen. Mit einer weitreichenden Erdbebenhilfe aus dem Westen können sie kaum rechnen. csi
Viele Menschen in Aleppo stehen buchstäblich vor einem Trümmerhaufen. Mit einer weitreichenden Erdbebenhilfe aus dem Westen können sie kaum rechnen. csi

Hätte die Aufhebung Leben gerettet?

Antaki bezeichnet die Sanktionen im Zusammenhang mit dem Erdbeben gar als «tödlich». Viele eingestürzte Gebäude waren bereits vorher durch den Krieg schwer beschädigt. Doch die meisten Menschen hätten keine andere Wahl gehabt, als in Häusern zu wohnen, die nicht wieder aufgebaut wurden. «Dies, weil der Wiederaufbau durch die Sanktionen verboten ist.» Der Syrer sieht auch eine Parallele zwischen den Sanktionen und den Dutzenden von Menschen, die lebendig unter den Trümmern begraben wurden: «Sie konnten nicht rechtzeitig gerettet werden, weil es keine schweren Maschinen gab, um die Trümmer zu beseitigen.»

Zudem stört sich der CSI-Partner aus Aleppo an der Behauptung des Westens, dass humanitäre Hilfe und medizinische Ausrüstung von den Sanktionen stets ausgenommen gewesen sein sollten. «Wenn das wahr wäre, warum haben dann diese Staaten die Sanktionen gegen humanitäre Hilfe für 180 Tage gelockert?»

CSI fordert: Jetzt müssen die Sanktionen fallen!

Eine Woche nach den Erdbeben, am 14. Februar 2023, wandte sich CSI an die Regierungen der USA, Grossbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz mit der Aufforderung, die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufzuheben.

In einem Brief an Bundespräsident Alain Berset verweist CSI auf die Erhebungen des Welternährungsprogramms (WFP). Danach hat sich die Zahl jener Syrer, die von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt. 85 Prozent der syrischen Haushalte können ihre Grundbedürfnisse nicht mehr decken. Auch CSI geht davon aus, dass ohne Sanktionen wahrscheinlich mehr Menschenleben gerettet worden wären. Dies auch deshalb, weil das nicht funktionierende Gesundheitssystem eine Folge der Sanktionen sei.

Die von den USA angekündigten Ausnahmeregelungen würden angesichts der umfassenden Verbote von Treibstoff, Finanztransaktionen und Wiederaufbau kaum Wirkung zeigen. Deshalb fordert CSI den Bundesrat auf, den Wirtschaftskrieg gegen Syrien nicht weiter zu unterstützen, sondern den vom Erdbeben schwer getroffenen Menschen in Syrien direkte Not- und Wiederaufbauhilfe zukommen zu lassen.

Der syrische Arzt Nabil Antaki kritisiert die Sanktionen des Westens scharf. csi
Der syrische Arzt Nabil Antaki kritisiert die Sanktionen des Westens scharf. csi

Departement Berset: Schweiz für «Intelligente Sanktionen»

Im Namen von Bundespräsident Alain Berset reagierte Maya Tissafi vom Staatssekretariat am 6. März 2023 auf den Brief von CSI. Tissafi merkt an, dass die Schweiz fünf Millionen Franken für die Erdbebenopfer in Syrien zur Verfügung gestellt habe. Und sie erwähnt das Anliegen das Bundesrats, negative humanitäre Auswirkungen der Sanktionen gegen Syrien zu vermeiden. Die Schweiz habe immer wieder betont, wie wichtig es sei, «unbeabsichtigte Folgen von Sanktionen, insbesondere für die Zivilbevölkerung und das humanitäre Engagement, zu minimieren.»

Deshalb unterstütze der Bundesrat das Konzept der «gezielten» oder «intelligenten» Sanktionen. Diese sollen «möglichst direkt die verantwortlichen Personen treffen und die Zivilbevölkerung vor negativen Folgen von Sanktionsmassnahmen schützen». Humanitäre Güter wie Nahrungsmittel oder Medikamente seien von den Sanktionen grundsätzlich nicht betroffen, schreibt Tissafi. Und schliesslich habe der Bundesrat am 3. März die Sanktionen gelockert, «um den in Syrien tätigen humanitären Akteuren die Aufnahme der für ihre Arbeit notwendigen Handelsbeziehungen zu erleichtern».

An den Sanktionen gegen Syrien hält der Bundesrat aber fest. Begründet wird dies mit den «Menschenrechtsverletzungen und der gewaltsamen Unterdrückung der Zivilbevölkerung durch die syrische Regierung». Zugleich unterstütze die Schweiz weiterhin den von der UNO geführten Friedensprozess in Genf unter Einbezug der Zivilgesellschaft, heisst es in der Antwort des Bundesrats.

Bundespräsident Alain Berset. admin
Bundespräsident Alain Berset. admin

Auch Parmelins Antwort befriedigt nicht

Die Bestrebungen von CSI für ein Ende der Syrien-Sanktionen gehen noch weiter. Am 7. März bat CSI die Waadtländer SP-Nationalrätin Brigitte Crottaz, in der wöchentlichen Fragestunde den Bundesrat mit den Auswirkungen der Sanktionen auf die Erdbebenhilfe zu konfrontieren.

Crottaz, die schon in der Vergangenheit CSI politisch unterstützt hatte, willigte ein. Am 13. März 2023 stellte sie Wirtschaftsminister Guy Parmelin die Frage: «Ermöglicht die Lockerung der Sanktionen gegen Syrien den Wiederaufbau der Infrastrukturen nach dem historischen Erdbeben?»

In seiner Antwort führte Parmelin ähnliche Punkte ins Feld wie das Departement Berset. So bemerkte er: «Aufgrund der besorgniserregenden Lage der Bevölkerung hat der Bundesrat die Sanktionen gegenüber Syrien gelockert.» Darüber hinaus habe der Bundesrat am 10. März nach einem entsprechenden Beschluss der EU eine vorübergehende humanitäre Ausnahme wieder aufgenommen, die für eine breitere Kategorie von Akteuren gelte. Auch Parmelin unterstrich das humanitäre Engagement der Schweiz in Syrien.

Wirtschaftsminister Guy Parmelin. admin
Wirtschaftsminister Guy Parmelin. admin

Sanktionen aufheben – Leben retten

Brigitte Crottaz erachtet Parmelins Antwort als unzureichend. Am 14. März 2023 schrieb sie an CSI: «Die Antwort auf meine Frage nach einer Lockerung der Sanktionen in Syrien war wenig befriedigend und beinhaltete das Infrastrukturproblem (in Syrien) mit keinem Wort.» Die Westschweizer Nationalrätin steht CSI im Bestreben, die Wirtschaftssanktionen in Syrien aufzuheben, weiterhin zur Verfügung.

CSI setzt sich ohne Unterlass für ein Ende der Sanktionen in Syrien ein. Dieses Ziel zu erreichen, ist nach dem verheerenden Erdbeben wichtiger denn je. Denn wenn die Schweiz und die EU nicht wollen, dass die Menschen in diesem zerstörten Land hungern, in Ruinen leben, aufgrund fehlender medizinischer Versorgung sterben oder flüchten, muss sie ihre Sanktionen gegen Syrien jetzt aufheben.

Reto Baliarda

Weiterer Bericht: 

Nothilfe und Unterkünfte für überlebende Erdbebenopfer.

Sanctions and the Syria earthquakes - a Christian doctor from Aleppo speaks

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