
Auf Einladung von CSI berichteten ein syrischer Arzt und ein Geistlicher der syrisch-katholischen Kirche in Berlin darüber, wie die aktuellen Lebensbedingungen im Land sind. Das Fazit ist erschütternd: Menschen versinken in Armut. Die noch verbliebenen Christen stehen vor einer ungewissen Zukunft.
Diskutierten in der Katholischen Akademie in Berlin die Zukunft Syriens: Kathrin Visse, Nabil Antaki, Amer Kassar unr Peter Fuchs, Geschäftsführer von CSI-Deutschland. csi
Seit geraumer Zeit schweigen in grossen Teilen Syriens die Waffen. Der Krieg ist weitgehend beendet. Doch die humanitäre Situation ist für die Menschen in Syrien schlimmer als je zuvor. Dies berichteten der syrische Arzt und Leiter des CSI-Partners «Blaue Maristen», Dr. Nabil Antaki (Aleppo), und der katholische Geistliche Monsignore Amer Kassar (Damaskus) in der Katholischen Akademie in Berlin.
Zur katastrophalen Lage der Menschen in Syrien hat neben dem Krieg nicht zuletzt die Corona-Pandemie, eine Cholera-Epidemie und das schwere Erdbeben im Februar dieses Jahres beigetragen. Aber vor allem die Sanktionen gegen das Land verhindern den Wiederaufbau und die notwendige Erholung der syrischen Wirtschaft.
Mittlerweile wollen die Nachbarländer Türkei und Libanon syrische Flüchtlinge zurück in ihre Heimat schicken. Doch was erwartet sie dort? Viele Häuser sind zerstört und während die Löhne für den, der einen solchen hat, weitgehend gleich bleiben, sind die Preise massiv gestiegen. Mehr als achtmal höher sollen die Preise aktuell sein als noch 2020. Wer von seinem Durchschnittseinkommen von etwa 25 Euro im Monat beispielsweise ein Baby mit Säuglingsmilch ernähren muss, hat bereits höhere monatliche Ausgaben als Einnahmen. Brot und Benzin sind rationiert. Strom ist auf zwei Stunden pro Tag rationiert.
So wundert es nicht, dass nach aktuellen Angaben über 80 Prozent der Syrier unterhalb der Armutsgrenze leben. 90 Prozent der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Selbst die Versorgung in Krankenhäusern ist für viele nur mit Unterstützung von internationalen Hilfsorganisationen möglich. Und obwohl medizinischer Bedarf von den internationalen Sanktionen gegen Syrien ausgenommen ist, fürchten viele westliche Hersteller Schwierigkeiten mit den eigenen Behörden und liefern vorsichtshalber nicht in das Land, in dem gemäss der deutschen «Tagesschau» ohnehin schon «41 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser nicht oder nur teilweise funktionsfähig sind».
Stehen notwendige Operationen an, müssen Betroffene von Hilfsorganisation zu Hilfsorganisation eilen, um das Geld für die Kosten zusammenzubekommen. «Ein menschenwürdiges Leben ist unter diesen Bedingungen kaum möglich», betont Nabil Antaki immer wieder. «Die Versorgungslage wird von den meisten Syriern aktuell als schlimmer wahrgenommen als noch während der Kampfhandlungen.»
Von den ehemals zehn Prozent christlicher Bürger in Syrien vor dem Krieg ist die religiöse Minderheit auf gerade mal zwei Prozent zusammengeschrumpft. In den christlichen Gemeinschaften wird es daher immer schwieriger, den Glauben zu vermitteln. «Es fehlt nicht nur an Priesternachwuchs, sondern auch an jungen Erwachsenen, die beispielsweise Pfadfindergruppen leiten oder Religionsunterricht geben können», so Kassar.
Für die Zukunft der christlichen Kirchen in Syrien zeichnet er daher ein düsteres Bild. Schätzungen, die bei gleichbleibender Entwicklung von einem Ende der Christenheit in Syrien bis 2060 ausgehen, hält er jedenfalls für möglich. «Damit würde sich das soziale Gefüge des Landes stark verändern, lebten doch bislang Christen, Muslime und andere Glaubensgemeinschaften weitgehend harmonisch zusammen.»
Sowohl Nabil Antaki als auch Amer Kassar berichten davon, dass Christen nicht stärker leiden würden als andere: Alle Bürger würden gleichermassen unter der gegenwärtigen Situation leiden. Allerdings leben die Christen zumeist nicht in grösseren, regional verortbaren Gemeinschaften, sondern sind über das ganze Land verstreut. Das erschwert ein geregeltes Gemeindeleben ebenso wie ein enges, solidarisches Miteinander.
Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. «Erst die Wiederaufnahme Syriens in die internationale Gemeinschaft und die Rücknahme der für die Bevölkerung schwerwiegenden Sanktionen würde einen Wiederaufbau und eine geregelte Rückkehr ermöglichen sowie die Auswanderungswelle stoppen», so Antaki.
Und während junge Menschen früher von guten Berufen und der eigenen Familie träumten, so denken sie heute nur noch an eines: «Das Land so schnell wie möglich zu verlassen», ergänzt Kassar. Das ist auch eine Perspektive – nur leider nicht für Syrien.
CSI-Deutschland
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