14. November 2013

Trotz offensichtlicher Unschuld lebenslange Haft

Sieben Christen wurden zu lebenslänglicher Haft verurteilt, weil sie im August 2008 einen berühmten Hindu-Führer umgebracht haben sollen. Die angeführten Beweise sind fadenscheinig, die Zeugenaussagen unglaubwürdig. Zudem hat sich bereits 2008 eine Rebellengruppe zum Mord bekannt.

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Update vom November 2018: Der Fall der sieben Christen ist weiterhin beim Obergericht in Cuttack hängig.

Update vom Dezember 2019: Nach der Freilassung von Garanath Chalanseth (Mai 2019) und Bijoy Sunseth (im Juli 2019) kommen im Dezember auch die übrigen fünf Christen frei. Das Oberste Gerichte hatte die Freilassung angeordnet. Allerdings erfolgte sie nur gegen Kaution, das Verfahren bleibt hängig.


Am 3. Oktober 2013 wurden im Bundesstaat Odisha sieben Christen zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Christen sind zwischen 31 und 42 Jahre alt, alle sind Väter von mehreren minderjährigen Kindern. Seit über fünf Jahren müssen sich ihre Familien jetzt ohne die Väter über Wasser halten.
Die sieben verurteilten Christen – Bijay Kumar Sunseth, Gornath Chalanseth, Budhadeb Nayak, Bhaskar Sunamajhi, Durjo Sunamajhi, Munda Badmajhi und Sanatan Badmajhi – wiesen wiederholt darauf hin, dass sie unschuldig sind und dass ihre Verhaftung auf Verleumdungen beruht – erfolglos. Auch eine Freilassung gegen Kaution war ihnen durch alle Instanzen hindurch verwehrt worden, da ihr Fall grosses Aufsehen erregt hat und als äusserst heikel gilt. Ein Urteil wurde deshalb lange hinausgezögert.

Angebliches Delikt: Mord

Die sieben Christen wurden verurteilt, weil sie angeblich den berühmten Swami (Hindu-Guru) Laxamananda Saraswati umgebracht hatten. Dieser war zusammen mit vier seiner Nachfolger am 25. August 2008 im Distrikt Kandhamal, Bundesstaat Odisha, getötet worden. Saraswati war etwa 80-jährig und führendes Mitglied der nationalistisch- extremistischen Hindu-Gruppe Vishwa Hindu Parishad. Diese Gruppe beschuldigte Kandhamals Christen, sie seien für den Tod ihres Anführers verantwortlich.
Am 25. August 2008 begann ein mehrtägiger Feldzug durch die christlichen Dörfer Kandhamals. In 415 Dörfern wurden mehrere tausend Häuser und fast 300 Kirchen geplündert und verbrannt, über 50 000 Menschen wurden obdachlos. Etwa 100 Personen kamen ums Leben. Der Hindu-Mob wütete bis in den September 2008 hinein weitgehend unbehelligt. Erst als der Premierminister infolge internationaler Proteste Truppen nach Kandhamal schickte, nahm die Gewalt ein Ende.

Aus Opfern werden Täter

Seit 2010 ist CSI in Kandhamal tätig. Die Projektleiterin Indien und Adrian Hartmann kehrten Ende September 2013 von einer Projektreise zurück. Was wir hörten, war erschütternd: Bis heute werden die Christen, die 2008 Ziel der schlimmen Gewaltwelle wurden, kaum als Opfer anerkannt. Im Gegenteil: Christen aus Kandhamal, die ihre Dörfer verliessen und ein Auskommen in Odishas Hauptstadt Bhubaneswar suchen, müssen ihre Herkunft verschweigen. In der öffentlichen Wahrnehmung sind Kandhamals Christen bis heute die hinterhältigen Täter, die den Hindu-Heiligen Saraswati skrupellos umbrachten.

Gegen die Schuldigen dieser Christenverfolgung gehen Polizei und Justiz nur zögerlich vor. Der Druck extremistischer Hindus auf die Behörden ist so gross, dass diese es häufig nicht wagen, die Täter zu belangen. Unsere Projektpartnerin Chaya Ram setzt sich bis heute dafür ein, dass Kandhamals Christen Gerechtigkeit widerfährt. Kämen die Hinduextremisten straflos davon, wäre das ein Freipass zum fortgesetzten Morden und Brandschatzen.

Urteil grosse Enttäuschung

Zum Mord an Saraswati hatte sich schon 2008 eine maoistische Gruppe bekannt. Die Maoisten sind in Indiens ärmsten Bundesstaaten aktiv und richten sich gewaltsam gegen Regierung und (vermeintliche) Ausbeuter. Den sieben Christen konnten jedoch keine Verbindungen zu den Maoisten nachgewiesen werden. Christliche Anwälte und Kirchenführer hatten einen Freispruch erwartet. Umso bitterer ist das Urteil: «Wir sind sehr enttäuscht», schrieb uns unsere Projektpartnerin Chaya Ram.

Auch Anwalt Pratap Chhinchani, der das Anwaltsbüro von Chaya Ram in Kandhamal leitet, hatte einen Freispruch erwartet. Er übernimmt jetzt die Verteidigung der sieben Christen und legt beim Obergericht des Bundesstaats Odisha in Cuttack Berufung ein.
Der Fall ist delikat. Wird das Obergericht in Cuttack es trotz des Drucks von Hindu-Extremisten wagen, die sieben Christen freizusprechen? Die Angst der Behörden zeigte sich bereits bei der Urteilsverkündung in Kandhamal. Ein grosses Polizeiaufgebot war präsent, um im Falle eines Freispruchs gewaltsame Proteste zu verhindern. Die Hindu-Extremisten werden den Fall auch am Obergericht in Cuttack genau beobachten. Eine gefährliche Situation. – Die sieben Christen sind seit fünf Jahren unschuldig im Gefängnis. Wie viele weitere Jahre folgen noch?

Autoren: Chaya Ram | Adrian Hartmann


Gericht spricht Unrecht

Im 30 Seiten umfassenden Urteil folgt der Richter des Distrikt- Gerichts in Phulbani, Kandhamal, grösstenteils der Anklage un spricht die sieben Christen in fast allen Punkten schuldig. Sie werden wegen Mords und wegen Verschwörung zum Mord zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Die Beweislage für die Verurteilung ist dürftig – dessen ist sich sogar der Richter bewusst: In der schriftlichen Fassung unterstreicht er, dass die Täter bei der Ermordung des Hinduführers «hoch professionell» vorgegangen seien. Man könne deshalb nicht erwarten, dass es «direkte Beweise» für die Beteiligung aller sieben Christen gebe. Die vorliegenden Beweise seien jedoch «ausreichend und klar genug» für eine Verurteilung. Einer der angeführten «Beweise» ist zum Beispie dass zwei der verurteilten Christen unmittelbar nach dem Mord in einer Kirche Süssigkeiten verteilt haben. Zudem stützt sich das Gericht auf fadenscheinige Zeugenaussagen, so zum Beispiel auf die Aussage eines Kindes, das angeblich zwei der Christen als Täter identifizieren konnte – obwohl ein anderer Zeuge aussagte, die Täter seien maskiert gewesen.
Die Gerichte seien angehalten, so der Richter, «sehr feinfühlig vorzugehen, gerade bei «Fällen, die das allgemeine Volksempfinden tangieren»: Das Gericht sei den indischen Bürgern verpflichtet, die Täter zu bestrafen. Deutlicher als in diesen abschliessenden Bemerkungen wird ein Richter wohl nicht sagen, dass er dem Druck der Strasse nachgibt.

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