18. Mai 2018

UNO: Syrien-Sanktionen haben «verheerende Folgen» für die Zivilbevölkerung – Bundesrat lehnt Überprüfung ab

Laut UNO-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy verschlimmern die Sanktionen das Los der Bevölkerung noch. Die Schweizer Regierung bleibt inaktiv aus Furcht vor den USA.

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«Ich bin zutiefst besorgt darüber, dass die einseitigen Zwangsmassnahmen zum andauernden Leiden des syrischen Volkes beitragen», sagte UNO-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy gestern an einer Medienkonferenz in Damaskus. Jazairy war vom 13. bis zum 17. Mai in Syrien, um die negativen Folgen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung zu untersuchen. Sie sind desaströs: «Weil sie so umfassend sind, haben die Massnahmen verheerende Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft und den Alltag der ganz gewöhnlichen Leute.»

Sanktionen verhindern Lieferung von überlebenswichtigen Ersatzteilen

Wegen der Sanktionen mangle es an Ersatzteilen für medizinische Apparate, Strom- und Wasserversorgung, Traktoren, Ambulanzen, Busse und Fabriken, berichtete Jazairy. «Es ist ironisch, dass diese Massnahmen, die von den betreffenden Staaten aus Sorge um die Menschenrechte ergriffen wurden, unbeabsichtigterweise zur Verschlimmerung der humanitären Krise beitragen.» Der UNO-Sonderberichterstatter fordert: «Es muss einen ernsthaften Dialog geben über die Reduktion der einseitigen Zwangsmassnahmen (…) mit dem Ziel, diese aufzuheben.»

Bundesrat will Auswirkungen der Sanktionen auf Zivilbevölkerung nicht überprüfen

Die Schweizer Regierung anerkennt zwar, dass die Sanktionen «negative Konsequenzen» haben (Bundesrat Johann Schneider-Ammann in einem Brief an CSI vom 31. Januar 2017). Anstrengungen zur Reduzierung der Sanktionen, wie sie von Idriss Jazairy empfohlen werden, sind jedoch kaum zu erkennen. Am 9. Mai 2018 lehnte der Bundesrat ein Postulat ab, mit dem er zur Überprüfung aufgefordert wurde, ob die Zivilbevölkerung vor den Folgen der Sanktionen geschützt sei. Die Schweiz setze sich «seit Jahren (…) für eine wirksame humanitäre Hilfe» ein. Zudem befasse sich die Bundesverwaltung «seit langem mit den Auswirkungen internationaler Sanktionen (…) auf die humanitäre Hilfe», schreibt der Bundesrat in seiner Stellungnahme.

Die Schweiz fürchtet Konflikt mit den USA

«Das Problem liegt in Washington, nicht in Bern. Wir mögen Sanktionen ebenfalls nicht», sagte ein hoher Bundesbeamte zu CSI. Im Bundesrat fürchtet man sich vor Strafmassnahmen der USA wegen Verstössen gegen die Sanktionen (Sekundär-Sanktionen). Die Schweiz hat 2011 die drakonischen Sanktionen der EU übernommen, die ihrerseits den USA gefolgt war.

Sanktionen gegen Syrien völkerrechtswidrig

«Die Sanktionen verstossen gegen humanitäres Völkerrecht», sagt Dr. John Eibner von CSI. Er reist regelmässig nach Syrien und sieht die Auswirkungen der Sanktionen: «Sie wirken als Kollektivstrafe gegen die syrische Bevölkerung, was gemäss der Genfer Konventionen verboten ist (Art. 33 Genfer Abkommen IV).»

Am 23. August 2016 richteten Kirchenführer aus Damaskus einen humanitären Appell an die internationale Gemeinschaft: «Stoppen Sie die Belagerung des syrischen Volkes! Heben Sie die internationalen Sanktionen gegen Syrien auf und ermöglichen Sie diesem Volk ein menschenwürdiges Dasein!» Den Appell unterzeichnet hatten die Patriarchen Johannes X. (griechisch-orthodox), Ignatius Aphrem II. (syrisch-orthodox) und Gergorius III. (melkitisch griechisch-katholisch).

Abgelehnte Forderung nach Untersuchung der Sanktionen im Nationalrat

Das vom Bundesrat abgelehnte Postulat 18.3309 «Smart Sanctions gegen die Urheber von Kriegsverbrechen in Syrien» war von SP-Nationalrat Mathias Reynard am 16. März 2018 eingereicht worden. Es wurde von 14 Nationalratsmitgliedern aus SP, SVP, FDP und EVP mitunterzeichnet, darunter Lukas Reimann (SVP), Doris Fiala (FDP) und Marianne Streiff-Feller (EVP).

Mathias Reynard (SP): «Die Antwort des Bundesrats ist sehr enttäuschend. Die Schweizer Regierung sollte sich grössere Sorgen machen um die Konsequenzen unserer Sanktionen auf die Zivilbevölkerung der betreffenden Länder. Hoffen wir, dass das Parlament mein Postulat, das von Nationalratsmitgliedern verschiedener Parteien mitunterzeichnet wurde, unterstützen wird.»

Doris Fiala (FDP): «Wenn unter den Sanktionen gegen Syrien die Zivilbevölkerung leidet, muss die Sanktionspolitik hart und umfassend hinterfragt werden!»

Lukas Reimann (SVP): «Der Bundesrat scheut sich vor der schwierigen, aber entscheidenden Aufgabe. Doch wenn Sanktionen beschlossen werden, muss als Entscheidungsgrundlage zuerst geklärt werden, welche Auswirkungen diese auf die leidende Bevölkerung, auf die Neutralität, auf die guten Dienste und auf die Friedensdiplomatie der Schweiz haben.»

Marianne Streiff-Feller (EVP): «Die Schweiz hat als Depositarstaat der Genfer Konventionen eine besondere humanitäre Verantwortung und muss unbedingt sicherstellen, dass die internationalen Sanktionen gegen Syrien nicht die Falschen treffen.»

Weitere Infos

Zum UNO-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy

Idriss Jazairy ist seit Mai 2015 «UNO-Sonderberichterstatter über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen auf die Ausübung der Menschenrechte». Er forscht zu den Sanktionen, die ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrats verhängt wurden, wie das im Fall von Syrien geschah.

Medienmitteilung von Idriss Jazairy, 17.05.18

Abschlussbericht zur Syrienreise von Idriss Jazairy, 17.05.18

Postulat 18.3309: «Smart Sanctions gegen die Urheber von Kriegsverbrechen in Syrien»

Bilder (kostenlos, in Druckauflösung)

Bilder von CSI – kostenlos + Druckauflösung (zip, 23 MB)

Bild von Idriss Jazairy – kostenlos + Druckauflösung (zip, 3 MB)

Kontakt

Adrian Hartmann

adrian.hartmann@csi-schweiz.ch

044 982 33 40

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