23. Oktober 2018

Vertreibung der Christen aus Idlib – Maydas Schicksal

Maydas Familie führte in Idlib ein beschauliches Leben, bis die Islamisten in die syrische Stadt eindrangen. Vor ihren Augen töteten sie ihren Ehemann und ihren Vater auf bestialische Art. Mayda und alle anderen Christen flohen aus Idlib, um dem Tod zu entrinnen.

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CSI-Projektpartnerin Schwester Marie-Rose hat Maydas aufwühlende Geschichte in ihrem neuen Buch verfasst.

«Mayda ist heute 53 Jahre alt und hat fast ihr ganzes Leben in Idlib zugebracht, einer Stadt im Norden nahe der türkischen Grenze. Als gläubige Christin gehörte sie zu den etwa 60 christlichen Familien, die dort lebten und sich jeden Sonntag in den beiden Kirchen der Stadt versammelten. Mit ihrem Mann Jean hatte sie zwei Kinder, einen zwölfjährigen Sohn namens Sami und eine zehnjährige Tochter namens Jiselle.

Sie war im öffentlichen Dienst tätig, während ihr Mann zusammen mit ihrem Vater Michele ein Spirituosengeschäft betrieb. Außerdem besaßen sie ein kleines Grundstück mit etwa 50 Olivenbäumen und 20 Pistazienbäumen. Ihr Leben verlief in ruhigen, ja glücklichen Bahnen. Im Sommer konnten sie stets ihren Urlaub am Meer verbringen, und die Kinder bekamen sowohl in der Schule als auch in der Kirche eine gute Bildung vermittelt.

Angst vor Islamisten

Bis zum März 2015 stand Idlib kaum im Visier bewaffneter Gruppen, doch die Leute machten sich bereits Sorgen wegen all der schlechten Neuigkeiten, die aus Damaskus, Homs, Aleppo und anderen Städten zu ihnen drangen. Sie wussten auch, dass die Al-Nusra Scharen von Kämpfern über die nahe gelegene türkische Grenze einschleuste.

Ab Mitte März griffen Gerüchte um sich, es stehe möglicherweise ein Großangriff von Al-Nusra auf Idlib bevor. Mayda, ihr Mann und der Rest der Familie bekamen es mit der Angst zu tun. Der Priester ihrer Gemeinde tat sein Bestes, sie zu beruhigen, ohne die tatsächlich drohende Gefahr zu erkennen. Als Vorsichtsmaßnahme räumten ihr Mann und ihr Vater das Spirituosengeschäft leer und versteckten die gesamte Ware im Keller ihres Hauses.

Spätestens am 20. März wusste jeder, dass Al-Nusra in Richtung der Stadt vorrückte. In ihrer Verwirrung und Angst wussten die Menschen nicht, was sie tun sollten. So war es auch bei Mayda und ihrer Familie. Am Donnerstag, dem 26. März, wussten die Leute von Idlib bereits, dass die Stadt von allen Seiten umzingelt war. Der Lärm der Gefechte war überall zu hören. Einigen Familien gelang irgendwie die Flucht, aber die Mehrzahl musste bleiben. Mayda und ihre Familie konnten nur beten. Von Al-Nusra drangen Botschaften in die Stadt: «Wir kommen am Freitag, also bereitet euch auf die große Bestrafung vor, ihr Kuffar (Ungläubigen).»

Kirchen niedergebrannt – Priester entführt

Tatsächlich marschierten am Freitag, dem 27. März 2015, Tausende von Al-Nusra-Terroristen in die menschenleeren Straßen von Idlib ein. Die Bewohner, die nicht wussten, was sie erwartete, versteckten sich in ihren Häusern, darunter auch Mayda, die ihren Sohn und ihre Tochter auf dem Dachboden des Hauses versteckte. Ihr Mann und ihr Vater hielten sich im Keller verborgen. Über das Handy konnte sie einige Freunde und Angehörige erreichen, von denen sie erfuhr, dass die ersten Gruppen von Kämpfern in die beiden Kirchen eingedrungen waren, sie niedergebrannt und die beiden Priester entführt hatten. Über deren Schicksal ist bis heute nichts bekannt.

Mit Hilfe der leistungsstarken Lautsprecher in den Moscheen forderten die Kämpfer die «Ungläubigen» und «Regime-Unterstützer» auf, sich ihnen zu ergeben, doch natürlich reagierte niemand darauf.

Grausame Morde

Doch als hätten die Terroristen schon gewusst, wer ihre Gegner waren und wo sie sie finden konnten, hörte Mayda ein kräftiges Klopfen an ihrer Tür. Sie bekreuzigte sich und öffnete. Vor ihr standen etwa ein Dutzend fremdartig und furchterregend aussehender Männer mit langen Bärten und seltsamen Kleidern, alle bis an die Zähne bewaffnet. «Wo sind dein Mann und dein Vater, die hier die Getränke des Teufels verkaufen?» «Ich weiß es nicht», erwiderte sie. «Sie haben früh am Morgen das Haus verlassen.»

Einer der Terroristen stieß sie gewaltsam aus dem Weg, ging geradewegs hinunter in den Keller. Kurz darauf kam er wieder, zerrte sie mit sich zurück in den Keller und jagte, gemeinsam mit drei anderen Terroristen, ihrem Mann vor ihren Augen mindestens 100 Kugeln in den Leib. Dann ergriffen sie ihren Vater und zerschlugen, ebenfalls vor ihren Augen, fast sämtliche Spirituosenflaschen auf seinem Kopf, bis er völlig blutüberströmt war. Dann verließen sie das Haus. Nach den Kindern fragten sie zum Glück nicht. Mayda rief einen ihrer Brüder an, der sofort kam und ihr half, die beiden Leichname hinter dem Haus zu begraben.

Tod oder Flucht

Zwei Tage später kam aus den Moschee-Lautsprechern die Ansage: «Alle Kreuzesanbeter haben die Stadt sofort zu verlassen. Ihr habt 24 Stunden, um zu gehen, sonst werdet ihr alle getötet.» 60 christliche Familien versammelten sich mit aller Habe, die sie transportieren konnten, und fuhren mit ihren Aut­os aus der Stadt. Doch an einem Straßenposten von Al-Nusra wurden sie angehalten. Alles, was sie an Geld, Schmuck und Handys bei sich hatten, wurde ihnen abgenommen; dann durften sie weiterfahren. Nach ihrem Entrinnen verteilten sie sich auf verschiedene Orte im Land. Mayda fand Unterschlupf bei einer ihrer Schwestern im Tal der Christen nahe Homs.

Monatelang stumm vor Schrecken

Das Tal der Christen suchte ich alle zwei Wochen auf, um nach Hunderten von geflüchteten Familien aus ganz Syrien zu sehen. Dennoch hörte ich erst im Mai 2015 von Mayda und ihrer Geschichte. Ich ging zum Haus ihrer Schwester und sah davor eine schwarzgekleidete Frau sitzen. Ihr Blick war vollkommen leer, ihr Gesicht ausdruckslos, und sie sagte kein Wort. Etwa zwei Stunden lang blieb ich dort, unterhielt mich mit ihren Kindern und ihrer Schwester.

Erst jetzt erfuhr ich die schrecklichen Einzelheiten ihrer Geschichte. Schweren Herzens verließ ich sie wieder, doch ich beschloss, sie erneut zu besuchen, bis sie sich öffnen und reden würde. Reden kann eine große Erleichterung sein. Inzwischen tat ich mein Möglichstes, um ihren Kindern zu helfen. Ich brachte sie in einer nahe gelegenen Schule unter. Immer wieder setzte ich mich zu Mayda und versuchte vergeblich, sie zum Sprechen zu bringen.

Mayda ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich blieb beharrlich bei meinem Vorsatz, irgendeinen Weg zu finden, um sie wieder ins Leben zurückzuholen. Es dauerte bis zum September 2015, dass es mir gelingen sollte. Als ich sie wieder einmal besuchte, brach sie plötzlich in Tränen aus und erzählte mir ihre Geschichte in allen Einzelheiten. Sie hatte ihren Mann, ihren Vater und ihr Haus verloren, und ihre Familie war in alle Winde zerstreut.

Hoffnungsvolle Ansätze

Dennoch war sie Gott dankbar, dass sie nicht auch ihre Kinder verloren hatte, die in der Schule ihr Bestes gaben und sich liebevoll um sie kümmerten. Sie tun es bis heute. Geheilt sind Maydas Wunden noch nicht, und vielleicht werden sie niemals heilen. Ich nutze nach wie vor jede Gelegenheit, um sie zu besuchen, und ich freue mich, dass es ihr offenbar wohltut, mich zu sehen. Doch das Beste, was ich für sie tun kann, ist, für ihre Seele zu beten.» Buchauszug S. 101 – 105

 

Aufruf: Buch kommentieren

Das Buch von Schwester Marie-Rose «Weil die Hoffnung niemals stirbt» enthält rund 30 Überlebensgeschichten von Menschen in Syrien. Möchten Sie fürs CSI-Magazin einen persönlichen Kommentar über das Buch verfassen? CSI schenkt Ihnen dafür ein Exemplar. Wir freuen uns auf Ihre Kurzbeiträge von maximal 1200 Zeichen.

Interessierte können sich bei Redaktionsleiter Reto Baliarda melden: reto.baliarda@csi-schweiz.ch | 044 982 33 33

Empfehlenswerte Lektüre für Sie selbst und zum Verschenken

 


 

Artikel im Tages-Anzeiger

Im Jahr 2015 wurden alle Christen aus Idlib gewaltsam vertrieben. CSI-Geschäftsführer John Eibner hatte in Syrien mit geflohenen Christen aus Idlib gesprochen (Bild). Der Tages-Anzeiger veröffentlichte darüber einen Bericht

 

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