
Die ehemalige Ministerin Sarah Ochekpe stammt aus Zentralnigeria und hat miterlebt, wie islamistisch geprägte Fulani das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen zerstörten. Sie sieht Hinweise auf einen gezielten Plan zur Auslöschung der Christen.
CSI: Sie wohnen in Jos, Bundesstaat Plateau, wo muslimische Fulani-Viehhüter in den letzten Jahren wiederholt christliche Dörfer attackierten. Wie kam es dazu?
Sarah Ochekpe: Der Bundesstaat Plateau wird von verschiedenen Menschen diverser Religionen bewohnt, aber die einheimische Bevölkerung, die sich aus den Beroms und anderen Stämmen zusammensetzt, ist hauptsächlich christlich. Es gab eine Zeit, in der sie alle friedlich mit den Fulani zusammenlebten. Aber der Aufstieg der islamischen Fundamentalisten hat diese Beziehungen vergiftet. Wir haben jetzt eine Situation, in der sich die Fulani, die wir seit langem kennen, mit Menschen ausserhalb der Dörfer und des Landes verschwören, um die lokale Bevölkerung anzugreifen und sie zu vertreiben.
Was tut die Regierung?
Um das friedliche Zusammenleben aller ethnischen und religiösen Gruppierungen in Jos sicherzustellen, richtete die Regierung die militärische Task Force «Operation Sicherer Hafen» ein. Das scheint jedoch nicht viel geholfen zu haben. Wir haben Situationen erlebt, in denen das Armeepersonal dazu neigte, die Fulani alles machen zu lassen, was sie wollten: Äcker als Weiden benützen, Felder kurz vor der Ernte zerstören und Dörfer angreifen. Die Fulani sind streitkräftiger geworden. Sie benützen raffiniertere Waffen, die zu einem Grossteil von aussen eingeführt werden. Die Angst wächst, dass eine Verbindung zwischen den Fulani-Viehhütern und Boko Haram (eine islamistische Terrorgruppe, Anmerkung der Redaktion) besteht.
Ist diese Angst berechtigt?
Ja. Die Art und Weise, wie die Fulani-Viehhüter die Dörfer angreifen, und die Waffen, die sie verwenden, sprechen für eine Verbindung mit Boko Haram. Aus Medienberichten ist allgemein bekannt, dass Boko Haram mehrmals militärische Basen angegriffen und Armeewaffen entwendet hat. Von den Geschossen, die manchmal an den Angriffsorten gesammelt werden, sehen wir, dass es sich um Armee-Munition handelt. Allerdings haben auch schon einige das Militär der Komplizenschaft beschuldigt, weil sie unter den Angreifern Armeeoffiziere wiedererkannt hatten.
Verfolgen die Fulani-Viehhüter ebenso islamistische Ziele wie Boko Haram?
Die Fulani haben bereits seit dem Dschihad im 19. Jahrhundert versucht, den Islam zu nutzen, um ihre Vorherrschaft aufzurichten. Damals standen die Fulani unter der Führung von Usman dan Fodio in einem Dschihad gegen die Hausa-Staaten. Sie übernahmen deren Verwaltung, indem sie Fulani-Emirate gründeten und Fulani-Emire in den Hausa-Gemeinschaften einsetzten. Was jetzt geschieht, sehen wir als eine Wiederbelebung dieses Wunsches, die Menschen zu dominieren.
Es betrifft nicht nur Zentralnigeria. Die Fulani ziehen nach Süden in überwiegend christliche Gegenden. Sie kommen oft mit Viehherden und nehmen Ackerland und Wälder ein unter dem Vorwand, sie für ihre Tiere zu benötigen. An vielen dieser Orte können die Menschen jetzt nicht aufs Feld gehen, weil sie Angst haben, angegriffen zu werden.
Manche sprechen von einem Genozid gegen die Christen in Nigeria. Ist das angemessen?
Ich denke, von Völkermord zu sprechen, ist keine Übertreibung. Im Jahr 2010 gab es einen massiven Angriff im Bezirk Jos South. In einer einzigen Nacht wurden mehr als 200 Menschen getötet – Kinder, körperlich Beeinträchtigte, Frauen und Männer. Ich besuchte die Gegend schon am nächsten Tag und es war ein schrecklicher Anblick. Das waren rein christliche Dörfer. Es scheint also, als ob jemand beabsichtigte, sie auszulöschen. Solche Angriffe gab es auch auf andere Dörfer in den Bundesstaaten Kaduna, Adamawa, Benue, Taraba, Niger und Nasarawa. Gezielt werden christliche und nichtmuslimische Bevölkerungsgruppen angegriffen.
Im Gebiet von Boko Haram im Nordosten Nigerias wurden sowohl Christen als auch Muslime angegriffen. Man kann sagen, dass eine muslimische Gruppierung gegen andere Muslime und gegen Christen kämpft. Aber in Zentralnigeria richtet sich die Gewalt ausschliesslich gegen Christen.
Hat sich die Taktik der Fulani über die Jahre geändert?
Ja. Anstelle von Grossangriffen wie im Juni 2018, als 20 christliche Dörfer überfallen wurden, verüben die Gewalttäter nun zahlreichere, aber kleinere Attacken. Zudem konzentrieren sie sich jetzt auf die Felder, die Lebensgrundlage der Menschen. Sie wissen, dass der einzige Weg, die Menschen in die Knie zu zwingen, darin besteht, ihre Felder unmittelbar vor der Ernte zu vernichten. So zerstören sie die Nahrungs- und Einkommensquelle der Bauern, wodurch diese verarmen und schliesslich vom Hunger bedroht sind.
Sie waren Ministerin in der Regierung von Goodluck Jonathan, dem Vorgänger des amtierenden Präsidenten Muhammadu Buhari. Was hätte für Sie Priorität, wenn Sie heute noch Ministerin wären?
Wenn ich noch in der Regierung wäre, würde ich mich dafür einsetzen, dass unsere Politik das allgemeine Wohl aller Ethnien in Nigeria und ein harmonischeres Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppierungen fördert. Unsere Schönheit und unsere Stärke sollten in unserer Vielfalt liegen.
Nigeria ist gemäss Verfassung ein säkularer Staat. Wenn man die Fördermittel und Ämtervergabe der Regierung betrachtet, scheint jedoch eine Gruppe oder ein Teil des Landes den Löwenanteil zu bekommen. Wir haben in jüngster Zeit auch in Zentralnigeria beobachtet, dass bei der Ämterbesetzung Muslime bevorzugt werden, auch wenn sie in der Region in der Minderheit sind. Es scheint also eine gezielte Politik zur Förderung des Islams zu geben, und zwar unter der Herrschaft des Stammes der Fulani.
Morven McLean
Das Interview wurde im September 2019 geführt, als Sarah Ochekpe für den CSI-Tag in der Schweiz weilte. Die längere englische Originalfassung finden Sie hier.
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