Wann wird es echte Religionsfreiheit geben?

Obwohl die Religionsfreiheit in der irakischen Verfassung verankert ist, leiden religiöse Minderheiten in der Praxis immer noch unter zahlreichen Diskriminierungen auf rechtlicher Ebene. Pascale Warda, eine langjährige CSI-Partnerin und ehemalige Ministerin, teilt uns ihre Bedenken mit.

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Diese Protestaktion wurde beendet. Den aktuellen Protest finden Sie hier.

Diesen Tag wird Romin Ishaq nie vergessen: Im Alter von 20 Jahren entdeckte sie mit Schrecken, dass sie im Standesamt als Muslimin eingetragen war, obwohl sie schon seit ihrer Geburt Christin ist. «Als ich nach dem Grund fragte, wurde mir gesagt, dass meine Mutter, die mich als Kind verlassen hatte, zum Islam konvertiert sei.» Nach dem irakischen Zivilgesetzbuch werden Kinder, die noch minderjährig sind, automatisch Muslime, wenn ein Elternteil zum Islam konvertiert. Genau das ist mit Romin passiert, ohne ihr Wissen.

Dieses Gesetz, das auf das Jahr 1972 zurückgeht, wurde 2016 in Artikel 26 des neuen Personalausweisgesetzes bestätigt. Infolgedessen werden jedes Jahr zahlreiche Kinder automatisch konvertiert. Dies ist eine eklatante Verletzung der Gewissensfreiheit, eine Beschneidung der Kinderrechte.

Rechtlicher Vorrang des Islam

Die CSI-Partnerorganisation Hammurabi setzt sich seit Jahren für eine Änderung dieses Gesetzes ein. In einem seltenen Beispiel von Übereinstimmung haben uns sowohl die sunnitischen Büros für religiöse Angelegenheiten als auch die Schiiten wie folgt geantwortet: «Ihre Anfrage steht im Widerspruch zu Artikel zwei der neuen Verfassung». Dieser Artikel besagt unter anderem, dass es verboten ist, «Gesetze zu erlassen, die den etablierten Geboten des Islam widersprechen».

Der zweite Teil dieses Artikels, wonach es ebenfalls untersagt ist, «Gesetze zu erlassen, die die Prinzipien der Demokratie verletzen», wird oft ignoriert.

Umso mehr ein Grund zu gehen

Romin ist mit einem Christen verheiratet und hat drei Kinder. «Unsere Ehe wurde ohne Probleme bei der Kirche eingetragen, denn auf meiner damaligen Identitätskarte stand noch, dass ich Christin bin. «Auf der zivilrechtlichen Ebene sieht dies jedoch anders aus. Von Gesetzes wegen kann eine muslimische Frau keinen Nicht-Muslim heiraten. Mit anderen Worten: «Entweder muss mein Mann zum Islam konvertieren, oder unsere Ehe wird für nichtig erklärt.»

Da Romins Kinder offiziell Muslime sind, sollten sie auch als Muslime registriert werden. Romin wollte dies unbedingt vermeiden, was jedoch verheerende Folgen für die Kinder hat. «Unsere Kinder sind im schulpflichtigen Alter. Sie besitzen aber keine ID und können deshalb nicht zur Schule gehen. Wir leiden enorm unter diesem Umstand», seufzt die dreifache Mutter. Kurz nachdem wir uns getroffen hatten, teilte mir Romin mit, dass sie mit ihrer Familie den Irak verlassen werde. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.

Romins Geschichte ist alles andere als ein Einzelfall. Viele Christen sind beim Standesamt offiziell als Muslime eingetragen. Es ist unmöglich, diese Registrierung zu ändern. Zwar ist es erlaubt, zum Islam zu konvertieren. Doch für einen Muslim ist es illegal, sich zu einer anderen Religion zu bekehren oder Atheist zu werden.

Hoher Reformbedarf

Die Menschenrechtsorganisation Hammurabi, die ich 2005 mitgegründet habe, verzeichnet jedes Jahr viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen. Wir helfen, wo wir können, und üben weiterhin Druck auf die Regierung aus, um einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die Religionsfreiheit im Irak wirklich garantiert.

Damit die verschiedenen Religionsgemeinschaften in unserem Land nebeneinander bestehen können, reicht eine Gesetzesänderung jedoch nicht aus. Sie muss mit einem Sinneswandel einhergehen, eine Aufgabe, die noch komplexer ist und nur durch eine gründliche Reform des Schullehrplans gemeistert werden kann.

Der moderne irakische Staat vereinigt eine Reihe von Völkern, Kulturen und Religionen, die Erben einer jahrtausende­alten Geschichte sind. Der Irak ist die Wiege der Zivilisationen, das Heimatland Abrahams. Wir sind stolz darauf! Es ist höchste Zeit, dass wir diese Vielfalt auch in der Praxis feiern. Andernfalls bleibt Christen, Jesiden, Mandäern, Bahai und anderen religiösen Minderheiten kaum mehr eine andere Wahl, als den Irak zu verlassen.

Pascale Warda, CSI-Partnerin aus dem Irak

 

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