«Wir haben Ihre Gebete bitter nötig»

Schwester Marie-Rose blickt auf ihr Leben und die vielen Kriegsjahre zurück. Es besteht trotz allem Hoffnung: Über die Arbeit mit Kindern kann die Gesellschaft verändert werden. Sie dankt für alle Unterstützung: «Ich bin sehr berührt von dem, was Sie für uns tun.»

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«Sind wir im Nahen Osten dazu verdammt, von einem Konflikt zum anderen zu leben?», fragt Schwester Marie-Rose und betrachtet nachdenklich, wie die Sonne am Horizont verschwindet. Schwester Marie-Rose ist für unser Treffen in den Libanon gereist. Auch dieses Land befindet sich einmal mehr mitten in der Krise. Wir befinden uns bei der erhöht gelegenen Pilgerstätte «Unsere Liebe Frau vom Libanon» im Dorf Harissa nahe Beirut mit Blick auf das Mittelmeer.

Im Krieg für Kinder da

«Es tut mir so gut, an einem Ort wie diesem meine Batterien aufladen zu können», lächelt Schwester Marie-Rose. Sie gehört zum Orden «Die Schwestern von den heiligen Herzen von Jesus und Maria» und ist unsere Partnerin seit den Anfängen der CSI-Projektarbeit in Syrien 2013. Obwohl sie bereits in ihren 60ern ist, findet die engagierte Schwester selten Zeit, um eine Pause einzulegen: Neben verantwortungsvollen Aufgaben in der Kongregation leitet sie humanitäre Hilfsprogramme in der syrischen Mittelmeerstadt Tartus.

«Meine Mutter sagte immer zu mir: ‹Möge Gott viele Türen für dich öffnen, wohin du auch gehst›», erinnert sich Schwester Marie-Rose. «Als ich in den Orden eintrat, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich ihn eines Tages leiten würde und für so viele Menschen eine so wichtige Arbeit leisten könnte. Ich kann nur loben und danken.»

Ihr Gesicht leuchtet, als sie mir einige Bilder «ihrer» Kinder zeigt. Das Zentrum, das wir in Tartus unterstützen, betreut zwischen 250 und 300 Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren. Es sind Christen verschiedener Konfessionen, Alawiten, Drusen, sunnitische Muslime.

Mauern voller Porträts verstorbener Soldaten

«Anfänglich haben wir vor allem mit Flüchtlingskindern aus Aleppo, Idlib und Homs gearbeitet», berichtet Schwester Marie-Rose. «Dann stellten wir fest, dass es in der Umgebung von Tartus viele sehr arme alawitische Dörfer gibt. Jetzt kommen auch Kinder aus diesen Dörfern in das Zentrum.»

Diese alawitischen Dörfer haben für den Krieg einen hohen Preis bezahlt: Die meisten Familien haben mindestens einen Sohn in der Armee, viele von ihnen haben im Krieg ihr Leben verloren. Diese Familien können es sich nicht leisten, für die Befreiung von der Militärdienstpflicht zu zahlen oder ihre Söhne ins Ausland zu schicken, wie andere es tun.

«Manchmal zieht es einem das Herz zusammen», sagt Schwester Marie-Rose und erzählt von den Trauerzügen, die sie gesehen hat, und von unzähligen Porträts von Toten, mit denen die Mauern übersät sind. «Und warum? Für nichts und wieder nichts. Dieser Krieg ist nutzlos.»

Selbstvertrauen stärken

Für die Kinder ist das Zentrum neben der Schule die einzige Zeit, in der sie aus ihrem Zuhause herauskommen. Einige kommen für Freizeitangebote hierher, andere erhalten Nachhilfeunterricht. «Für uns ist es wichtig, ihr Selbstvertrauen zu stärken.» Die Fortschritte, die die Kinder im Zentrum machen, bleiben nicht unbemerkt. Manchmal kommen ihre erstaunten Lehrer ins Zentrum, um zu sehen, wie es möglich ist, dass die Kinder so aus sich herauskommen.

Schwester Marie-Rose und ihr Team arbeiten auch mit den Eltern der Kinder zusammen. Meist sind es Mütter. «Neulich kam ein Vater zu einem Treffen; ich war so glücklich!» Die Männer sind oft abwesend. Einige sind gestorben, andere haben ihre Familien verlassen, wieder andere kämpfen auf der einen oder anderen Seite dieses sinnlosen Kriegs. Die Männer, die noch da sind, arbeiten häufig Tag und Nacht.

Hoffnung verbreiten

«Die Frauen sind anfänglich sehr zurückhaltend, aber mit der Zeit ändert sich das wie bei den Kindern. Sie lernen mitzuteilen, was sie durchmachen.»

Schwester Marie-Rose ist felsenfest überzeugt: Indem man den Kindern und durch sie ihren Familien hilft, kann man der ganzen Gesellschaft helfen, die Hoffnung wiederzugewinnen und den herausfordernden Alltag in Syrien zu meistern.

Dass auch nach neun Jahren Krieg Hilfe aus der Schweiz kommt, stimmt Schwester Marie-Rose dankbar. «Ich bin sehr berührt von dem, was Sie für uns tun», sagt sie. «Bitte beten Sie auch für uns, wir haben es bitter nötig.»

Projektleiterin Hélène Rey

 


Christen in der hart umkämpften Provinz Idlib

Schwester Marie-Rose sprach bei unserem Treffen auch wehmütig über Idlib, das derzeit heftig umkämpft ist. Nach UNO-Angaben sind seit Dezember 2019 fast eine Million Menschen auf der Flucht, die grosse Mehrheit von ihnen Frauen und Kinder. Es sei die grösste Vertreibung seit Kriegsbeginn 2011.

«Idlib ist eine so schöne Region, voller Oliven-, Feigen- und Granatapfelbäume.» Nostalgisch erinnert sich die Schwester an die vielen Jugendlager, die sie in der Gegend organisiert hatte, bevor sie ihr Kloster in Homs verlassen und in Tartus Zuflucht suchen musste.

Idlib, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, befindet sich seit März 2015 unter der Herrschaft islamistischer Rebellen. Der Christ Khalil (Name geändert) erzählte uns damals, wie zwei seiner Verwandten ermordet wurden, weil sie Alkohol verkauften. «Wir waren etwa 1300 Christen in [der Stadt] Idlib. Jetzt sind nur noch zwei übriggeblieben: eine alte Frau und ein alter Mann.» Lesen Sie mehr von Khalil und seiner Frau.

Schwester Marie-Rose berichtet von drei oder vier Dörfern in der Provinz, in denen bis heute ein paar Dutzend Christen ausharren. Der Überlieferung zufolge durchquerte der Apostel Paulus auf seinem Weg nach Antiochia diese Dörfer im Orontes-Tal. Islamistische Gruppen nahmen das Tal bereits Ende 2012 ein. Die Christen, die zu bleiben beschlossen, leben unter einem sehr strengen islamistischen Regime. Trotzdem versuchen sie, Flüchtlingen zu helfen, wo sie nur können. Mehrere Male wurden die zwei verbliebenen Pfarrer und weitere Christen inhaftiert oder entführt.

In den Augen von Schwester Marie-Rose leuchtet trotz allem Hoffnung, dass es vielleicht bald wieder möglich sein wird, die Dörfer zu besuchen, die ihr so sehr am Herzen liegen.

Buch von Schwester Marie-Rose

In ihrem Buch «Weil die Hoffnung niemals stirbt» erzählt Schwester Marie-Rose in kurzen Kapiteln von ihren berührenden Begegnungen mit syrischen Flüchtlingen. Geschichten, die in Erinnerung bleiben. Sie können das Buch hier bestellen, oder über 044 982 33 33 info@csi-schweiz.ch

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