Die Sanktionen verstossen gegen die Genfer Konventionen – dem Verbot der kollektiven Strafe

Die USA und Europa machen die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien von einem Sturz der syrischen Regierung abhängig, betont CSI-Geschäftsführer Dr. John Eibner im Interview. Genauso wie Bomben zerstören aber auch Sanktionen die Zivilbevölkerung, während die Regierung an der Macht bleibt.

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CSI: Sie sind mehrmals nach Syrien gereist. Können Sie uns dabei ein Erlebnis schildern, das Sie besonders geprägt hat?

John Eibner: Es war die Begegnung mit der Christin Marie (Name geändert). Sie war eine lebendige junge Frau. Doch als ich sie zum ersten Mal traf, lag sie wegen Nierenversagen regungslos in ihrem Krankenbett, kaum in der Lage, zu sprechen. Zu diesem Zeitpunkt war die Stadt von Dschihadisten belagert.

Marie benötigte dringend eine Nierentransplantation, die zum Glück gut verlief. Sie muss jedoch für den Rest ihres Lebens teure Medikamente einnehmen. Die monatlichen Kosten dafür betragen mehr als das Doppelte des Familieneinkommens. Die Ursache sind Wirtschaftssanktionen. CSI half der Familie aus.

CSI setzt sich für die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien ein, warum?

Die westlichen Wirtschaftssanktionen richten sich nicht nur gegen diejenigen, die sich schrecklicher Verbrechen schuldig gemacht haben. Vielmehr zerstören sie die syrische Wirtschaft. Sie sind eine Waffe der modernen Kriegsführung, die Menschen verarmen lassen, sie töten und vertreiben. Diese kollektive Bestrafung von Zivilisten ist nach den Genfer Konventionen verboten.

Sind Wirtschaftssanktionen immer das falsche Mittel, um in einem Unrechtsstaat eine positive Veränderung zu bewirken?

Ich kann nicht sagen, dass Wirtschaftssanktionen immer das falsche Mittel sind. Aber mir fallen keine Beispiele ein, in denen drakonische Sanktionen, die sich negativ auf eine ganze Bevölkerung auswirken, eine positive Veränderung bewirkt hätten. Gegen den Irak wurden unter Saddam Hussein ebenso Sanktionen erlassen. Die UNO schätzte, dass Hunderttausende irakischer Kinder aufgrund der Wirtschaftssanktionen starben. Aber Saddam Hussein wurde nicht durch Sanktionen von der Macht entfernt. Er wurde durch eine von den Amerikanern angeführten Militärinvasion gestürzt.

Wie denken syrische Christen über die Sanktionen?

Ich habe mit keinem Christen in Syrien gesprochen, der diese Sanktionen unterstützt, auch nicht jene, die das politische System nicht mögen. Christliche Führungspersönlichkeiten in Syrien fordern ein Ende der Sanktionen. Unter denen, die den von CSI initiierten offenen Brief an US-Präsident Joe Biden unterzeichnet haben, in dem ein Ende der Sanktionen gefordert wird, sind der syrisch-orthodoxe Patriarch, der syrisch-katholische Patriarch, der griechisch-katholische Erzbischof von Aleppo und der Präsident der armenischen evangelischen Kirche. Auch Papst Franziskus, das Staatssekretariat des Vatikans und der Ökumenische Rat der Kirchen haben sich gegen das bestehende Sanktionsregime ausgesprochen.

Schützt die syrische Regierung die Christen im eigenen Land?

Die Christen in Syrien haben mehr Freiheit gehabt, ihren Glauben zu praktizieren, als in jedem anderen Land mit sunnitischer Mehrheit im Nahen Osten. Dies war während des gesamten jüngsten Krieges in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Fall. Die religiöse Säuberung von Christen war überall dort die Norm, wo die von Islamisten beherrschte Opposition Gebiete erobert hat.

Sie haben auch eine Petition ins Leben gerufen, die an US-Präsident Joe Biden und die Staatsoberhäupter aller Länder gerichtet ist, die die Sanktionen verhängt haben. Haben Sie Hoffnung, dass diese Petition etwas bewirken wird?

Ich lebe in der Hoffnung. Das heisst aber nicht, dass ich durch die Petition und andere Kampagnen mit einer positiven Veränderung rechne. Das liegt letztlich in den Händen des Allmächtigen. Aber selbst wenn es nicht gelingen sollte, ist es für CSI wichtig, für die Menschenrechte einzutreten.

Würden durch die Aufhebung der Sanktionen viele syrische Flüchtlinge in Europa in ihr Heimatland zurückkehren?

Das bezweifle ich. Einige Flüchtlinge hätten aus politischen Gründen Angst, zurückzugehen. Andere haben sich inzwischen an ein Leben gewöhnt, das mehr Möglichkeiten und Sicherheit bietet. Eher würden die Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Türkei, Libanon, Jordanien und Irak zurückkehren. Aber die Aufhebung der Sanktionen würde sicherlich Bedingungen schaffen, um einen weiteren Exodus aus Syrien zu reduzieren.

Interview: Reto Baliarda

Unterschreiben Sie unsere Petition für die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen in Syrien.

 

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