Von allen Seiten umzingelt – Doch die Christen in Berg-Karabach erhalten Hilfe

Zehntausende armenische Christen aus Berg-Karabach mussten während des letztjährigen Kriegs ihre Heimat verlassen. Die Zurückgebliebenen sind von der Aussenwelt nahezu abgeschnitten. Dank der Hilfe von CSI können tausende Menschen in einem Reha-Zentrum von Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert versorgt werden.

Im Lady-Cox-Rehabilitationszentrum in Stepanakert wird Tigran physiotherapeutisch betreut. csi

Die Erinnerungen sind für hunderttausende Armenier ein Alptraum: Am 27. September 2020 starteten Aserbaidschan und die Türkei einen Angriff auf Berg-Karabach, wo eine uralte Gemeinschaft von 150‘000 armenischen Christen lebte.

Als Russland 44 Tage später eingriff und einen Waffenstillstand erzwang, waren bereits über 5‘000 Menschen tot und 100‘000 Armenier geflohen. Viele von ihnen können nie wieder in ihre Heimat zurückkehren – ihre Häuser liegen in den von Aserbaidschan eroberten Gebieten. Tausende andere Armenier waren nach dem Waffenstillstand gezwungen, ihre Häuser zu verlassen, da ihr Wohngebiet aufgrund des Waffenstillstand-Abkommens an Aserbaidschan abgetreten wurde.

Vahid von tödlichen Schicksalen gebeutelt

Die Geschichte von Vahid veranschaulicht die völkermörderischen Folgen der aserbaidschanischen Invasion für die Armenier. Vahid lebte in einem Dorf namens Togh in Berg-Karabach in der Nähe der Kriegs-Frontlinien. Acht Tage nach Kriegsbeginn ordneten die Behörden an, das Dorf zu evakuieren. Zwei seiner Nachbarn im Alter von 80 und 59 Jahren weigerten sich, Togh zu verlassen. Sie glaubten, dass sich dieser Angriff nicht von den kleineren aserbaidschanischen Scharmützeln unterschied, die in früheren Jahren stattgefunden hatten.

Vergeblich versuchte Vahid, sie umzustimmen: «Dieser Krieg ist anders. Wir müssen damit rechnen, dass der Feind unser Dorf einnimmt», warnte er. Tatsächlich überrannten aserbaidschanische Soldaten am 22. Oktober 2020 das Dorf und töteten die beiden Nachbarn. Vahids Sohn, der an der Front kämpfte, kam einige Tage später um.

«CSI war eine Antwort auf unsere Gebete»

Während des Krieges im Herbst 2020 arbeitete CSI mit verschiedenen Kirchen in Armenien zusammen, um den aus Berg-Karabach fliehenden Menschen zu helfen. Bei ihrem kürzlichen Besuch in Armenien wurden John Eibner und Joel Veldkamp von einem dieser Partner mit bewegenden Dankesworten begrüsst: «Bevor CSI uns kontaktierte, beteten wir jeden Tag um ein Wunder. Die Not drohte uns zu ersticken. Wir wussten nicht, was wir tun sollten. CSI war eine Antwort auf unsere Gebete.»

Seit dem Ende des Krieges sind Zehntausende von Karabachern in ihre Häuser zurückgekehrt. Doch einige Häuser wurden durch die Bombardierung zerstört. Überdies gibt es heute nur eine Strasse, die Berg-Karabach mit der Republik Armenien und damit mit dem Rest der Welt verbindet. Sie wird von russischen Friedenstruppen kontrolliert, die entscheiden, wer ein- und ausreisen darf. Der Rest des Gebiets ist von aserbaidschanischen Truppen umgeben, die armenische Zivilisten entführen oder töten, wenn sie sich ihnen nähern. Aserbaidschan nutzt seine Kontrolle über eroberte Elektrizitäts- und Wasserkraftwerke, um weitere Versorgungsengpässe zu verursachen.

Zusätzlich zur Isolation weigern sich viele internationale Hilfsorganisationen, in Berg-Karabach zu arbeiten, da das Gebiet umstritten ist. CSI ist jedoch entschlossen, sich mit den Armeniern in Berg-Karabach solidarisch zu zeigen.

Reha-Zentrum bricht Tabus

Dank treuer SpenderInnen trägt CSI zur Finanzierung des Lady-Cox-Rehabilitationszentrums Stepanakert bei, das Tausenden von Kindern und Erwachsenen mit Beeinträchtigungen oder Kriegsverletzungen eine hochmoderne Versorgung bietet – und das kostenlos. Das Zentrum ist nach der britischen Baronin Caroline Cox benannt, einer langjährigen Freundin von CSI, die während des Ersten Karabach-Krieges (1988-1994) mehrmals mit John Eibner nach Berg-Karabach reiste.

Seit über zwanzig Jahren praktiziert das Zentrum eine Form der Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen, die mit traditionellen Tabus bricht. Die Mitarbeitenden ermutigen ihre PatientInnen, sich in die Gesellschaft zu integrieren und sich als Individuen zu sehen, die etwas erreichen können. Viele Kinder, die im Zentrum behandelt wurden, haben sich heute erfolgreich in die Arbeitswelt integriert. «Sie sind sehr mutig», bemerkt Zentrumsleiter Vardan Tadevossian.

Während des Krieges 2020 musste das Zentrum seine Mitarbeitenden und PatientInnen nach Armenien evakuieren, um dem aserbaidschanischen Bombenangriff zu entgehen. Tadevossian blieb mit zwei Mitarbeitenden zurück, um sich um die Menschen zu kümmern, die für die beschwerliche Reise zu beeinträchtigt waren.

Hoffnung für ehemaligen Soldaten

Glücklicherweise konnte das Zentrum am 1. Dezember 2020 – drei Wochen nach dem Waffenstillstand – wieder geöffnet werden. Aufgrund der vielen Kriegsverletzten ist die Zahl der Patienten gestiegen.

Einer der neuen Patienten ist der 20-jährige ehemalige Soldat Tigran. Am ersten Tag der Kämpfe durchbohrte eine Kugel seinen Oberschenkel. Er verbrachte sechs Monate in Armenien, wo er behandelt wurde. Dank des Zentrums kann er seine Genesung in seiner Heimat Berg-Karabach fortsetzen.

Allerdings musste Tigran feststellen, dass sein altes Leben mit seinen Freunden und Angehörigen, wo Menschen in Frieden lebten, nicht mehr existiert. «Angesichts dieser Realität versucht Tigran, die Welt, von der er träumt, wieder aufzubauen. Sein wichtigstes Ziel ist es heute, sich schnell zu erholen und eine Ausbildung zu machen», schreibt Tadevossian.

CSI steht an der Seite von Tigran und allen anderen Armeniern in Berg-Karabach, die in eine ungewisse Zukunft blicken.

Joel Veldkamp

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