«Vertreibung ist meine Lebensgeschichte»

Inkas Leben ist geprägt von Angst und Vertreibung. Drei Mal musste sie vor Angriffen der Aserbaidschaner fliehen. Nun macht sie sich schwere Sorgen um ihren Sohn, der bis zuletzt Berg-Karabachs Armee diente. CSI-Mitarbeiter Joel Veldkamp traf sie in Armenien.

06_Inka1

Die mehrfach geflüchtete Inka muss erneut bangen. csi

 

Inka wurde in Aserbaidschans Hauptstadt Baku geboren. Ihre Familie stammte aus der Region Hadrut in Berg-Karabach, aber die beruflichen Möglichkeiten hatten ihre Eltern nach Baku gebracht. Bis im Alter von zehn Jahren lebte sie dort mit ihren Eltern, ihrer Grossmutter und den drei Geschwistern.

1988 begannen die Armenier in Berg-Karabach, sich von Aserbaidschan zu lösen. Bald darauf kam es zu den ersten Angriffen auf Armenier in aserbaidschanischen Städten. In Sumgait und Kirovabad wurden sie massakriert.

Im Dezember 1988 wurde Inkas Familie mitgeteilt, dass sie Baku zu ihrer eigenen Sicherheit verlassen müsse. Es blieb keine Zeit mehr, etwas mitzunehmen. «Wir konnten nicht einmal ein Taxi finden, das uns zum Flughafen gebracht hätte. Kein Taxifahrer wollte Armenier mitnehmen», erklärt Inka traurig.

Flugzeug mit Steinen beworfen

Ein Nachbar hatte schliesslich Mitleid und brachte die Familie zum Flughafen. Inka erinnert sich: «Unser Flugzeug mit armenischen Flüchtlingen wurde von Aserbaidschanern mit Steinen beworfen.»

In Armeniens Hauptstadt Eriwan angekommen, zog Inkas Familie in ihr Haus im Dorf Arevshot in Berg-Karabach. 1991 begannen sie mit Renovierungsarbeiten. «Kaum waren wir fertig, mussten wir erneut fliehen. Aserbaidschan griff unser Dorf an», so Inka weiter. Die Familie zog nach Goris in Armenien. 1993, ein Jahr vor Ende des ersten Kriegs, konnten sie nach Berg-Karabach zurückkehren.

Ein gutes Vierteljahrhundert lang führten Inka und ihre Familie ein mehr oder weniger ruhiges Leben. Dies endete abrupt, als Aserbaidschan Berg-Karabach Ende September 2020 erneut angriff. «Unser Sohn war damals erst drei Monate im Militärdienst.»

In den ersten zwei Wochen des Krieges hatte sie keine Ahnung, ob er überhaupt noch lebte. Inka befürchtete das Schlimmste. Nachdem Aserbaidschan die Region, in der er stationiert war, erobert hatte, erhielt sie von ihrem Sohn einen Anruf: «Geh jetzt!» Es war das dritte Mal in ihrem Leben, dass sie aus ihrer Heimat fliehen musste. «Vertreibung ist meine Lebensgeschichte», seufzt Inka.

Der CSI-Partner in Armenien hat Inka und ihrer Familie geholfen, eine Schafzucht in Goris aufzubauen. Dafür ist sie dankbar. Aber sie macht sich Sorgen um ihren Sohn. Er hatte bis Aserbaidschans Eroberung am 20. September 2023 in der Armee von Berg-Karabach gedient. «Ich habe ihn seit der Blockade vom 12. Dezember 2022 nicht mehr gesehen», klagt sie.

Joel Veldkamp, Reto Baliarda

Ihr Kommentar zum Artikel

Wir freuen uns, wenn Sie hierzu eine Rückmeldung oder Ergänzung haben. Themenfremde, beschimpfende oder respektlose Kommentare werden gelöscht.


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.

Kommentar erfolgreich abgesendet.

Der Kommentar wurde erfolgreich abgesendet, sobald er von einem Administrator verifiziert wurde, wird er hier angezeigt.