Sich dem persönlichen Schicksal stellen – Wunden heilen

Die mehrheitlich christlichen Ureinwohner von West Papua erfahren viel Unterdrückung durch die muslimischen Indonesier. Doch etliche Betroffene verdrängen ihr Leiden. CSI hilft Jugendlichen beim Verarbeiten ihrer Traumata und unterstützt ein Studienzentrum bei der Publikation von Berichten über Menschenrechtsverletzungen. CSI-Mitarbeiterinnen haben die Projekte besucht.

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30 Prozent der mehrheitlich christlichen Ureinwohner West Papuas gehören der Kingmi-Kirche an. Deren Leiter Benny Giay, der zugleich CSI-Projektpartner ist, freute sich riesig über die Anwesenheit der beiden CSI-Vertreterinnen aus der Schweiz: «Euer Besuch ist sehr ermutigend!»

Mut – den brauchen die Einheimischen in West Papua dringend. Ihre Geschichte ist geprägt von Entmutigung und Drangsalierung. «Als unser Land 1963 von Indonesien übernommen wurde, sammelte die Regierung tags darauf Geschichtsbücher und Werke über unsere Kultur und Politik ein und verbrannte sie», weiss Benny Giay. Dieser Akt der Zerstörung werde mit der verächtlichen Bemerkung gerechtfertigt, die West Papuaner hätten keine Geschichte und seien eine primitive Kultur. Deshalb müssten sie die indonesische Tradition und Kultur annehmen.

Vom Militär vertrieben

Erniedrigung und Gewalt bekam auch Intanus zu spüren. Der junge Religionslehrer musste 2018 fliehen, als sein Dorf Kroptak im Distrikt Mapenduma von der indonesischen Armee bombardiert wurde. Einzig der Dorfpfarrer blieb zurück, weil er wegen eines Knieleidens nicht weglaufen konnte. «Die Soldaten erschossen ihn und verbrannten seine Leiche», erzählt Intanus traurig im Gespräch mit CSI.

Er selbst floh damals in die Kleinstadt Sentani, um eine theologische Ausbildung zu absolvieren. Durch die Flucht verlor er den Kontakt zu seinen Eltern. «Ich hatte keine Möglichkeit, sie telefonisch zu erreichen und glaubte, sie wären tot.» 2021 erhielt er die erlösende Nachricht, dass seine Eltern leben und in einem Flüchtlingscamp nahe bei seinem neuen Wohnort in der Region Nduga untergebracht sind.

Doch Intanus kämpft mit seinen negativen Erlebnissen, die ihn immer wieder einholen. «Ich erlebe bei meiner Arbeit als Pastorenpraktikant viele schwierige Momente. Selbst beim Fussballspielen beschimpfen uns die Indonesier als Affen.» Unter Tränen äussert Intanus sein Bedauern, dass er in West Papua geboren wurde. Und selbst wenn er in seiner Kirche den Gottesdienst besucht, fühlt er sich oft nicht sicher, verständlicherweise, denn er verrät: «Manchmal höre ich mitten im Gottesdienst Schüsse.»

West Papua ist reich an Bodenschätzen. csi
West Papua ist reich an Bodenschätzen. csi

Traumabewältigung für 30 Jugendliche

Intanus ist einer von 30 Jugendlichen, die das von CSI unterstützte Trauma-Bewältigungs-Programm im Zentrum für TheologiestudentInnen in Sentani besuchen. Hier kann er offen über seine Vergangenheit sprechen, die von Gewalt und Diskriminierung geprägt ist. So wagt er die ersten Schritte, um sich seinen persönlichen Erlebnissen zu stellen. «Ich bin dankbar, dass ich hier meine Geschichte aufschreiben und erzählen konnte. Ich fühle mich befreit.»

Verantwortlich für dieses Trauma-Bewältigungsprogramm ist die junge Theologiestudentin Rutina. Wie sie gegenüber CSI berichtet, habe sie lange nicht realisiert, welche Diskriminierung die Menschen in West Papua erdulden müssten. «Für mich gehörte dies einfach zum Leben.» Die Arbeit mit den 30 Jugendlichen im Studienzentrum habe ihr die Augen geöffnet. «Ich erkannte, wie dringend diese seelisch verwundeten Menschen Hilfe benötigen. Denn ihr Leben ist von Trauma und Angst geprägt.» Es sei wichtig, dass sie ihre Geschichte erzählen und aufschreiben können. «Dies setzt einen Heilungsprozess in Gang.»

Lachen und weinen

Mit Leidenschaft schildert Rutina die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen: «Normalerweise setzt sich zu Beginn ein Schüler in die Mitte und wir fragen ihn, was er erlebt hat.» Er oder sie erzählt ihre Geschichte, bevor sie niedergeschrieben wird. Die Schüler würden in unterschiedlicher Gemütslage über ihre Erlebnisse berichten. «Manche lachen darüber, andere weinen ununterbrochen.» Rutina ist dankbar, dass CSI dieses Programm unterstützt. «Es hilft uns, zusammen mit Gottes Hilfe nicht in Traurigkeit verharren zu müssen, sondern einen Ausweg zu finden.»

Wichtige Informationsarbeit

Nebst dem Trauma-Bewältigungsprogramm unterstützt CSI seit zwei Jahren ein Projekt, um Einheimische zu ermutigen, ihr Schicksal zu dokumentieren, zu publizieren und so der Aussenwelt mitzuteilen. Denn ausländischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten bleibt der Zutritt nach West Papua verwehrt. Berichte von einheimischen Journalisten werden zensuriert. Der indonesische Staat überwacht zudem die sozialen Medien.

An einem Theologischen Institut wird Pastoren der Umgang mit Menschenrechtsübertretungen beigebracht. Einer der dankbaren Pastoren, die diese Schulung absolvieren konnten, ist Yahya Lagowan aus Wamena. Er stammt aus der Region Nduga, einer Bergregion, die reich an Bodenschätzen ist. Vor allem deswegen käme es immer wieder zu Interventionen des Militärs, bei denen die christlich-indigene Bevölkerung vertrieben werde. «In den letzten Jahren wurden in Nduga mehrere Kirchen verbrannt. In den betroffenen Dörfern finden seitdem bis heute keine Gottesdienste mehr statt», klagt er.

Lagowan befürchtet, dass die Lage weiter eskalieren könnte, falls sich Angehörige getöteter Papuas fürs erlittene Unrecht rächen wollen. Gerade deshalb sei die Unterstützung von CSI sehr wichtig, damit Betroffene beim Verfassen von persönlichen Texten ihre negativen Erlebnisse ohne Gewalt zum Ausdruck geben könnten. «Ich bin sehr dankbar. Gott schickt Menschen hierher, die sich um Betroffene kümmern.»

Das Leiden ansprechen

Dem schliesst sich auch CSI-Projektpartner Benny Giay an. «Wir können unsere Augen nicht davor verschliessen, was uns angetan wurde und noch wird.» Als Kirche müsse man dieses Leiden ansprechen, damit sich die Menschen verstanden fühlen und ermutigt werden, in friedlicher Absicht über erfahrenes Unrecht zu sprechen.

Betrügerische Abstimmung verhinderte Unabhängigkeit

West Papua ist die östlichste Region Indonesiens. 1963 wurde die Insel nach der niederländischen Kolonialzeit Indonesien angegliedert. Allerdings wurde vereinbart, dass die Papuas spätestens nach sieben Jahren über die Unabhängigkeit ihrer Heimat abstimmen könnten.

Unter Aufsicht der UNO fand dieses Referendum 1969 tatsächlich statt –  es wurde jedoch unter Androhung und Zwang manipuliert. 1025 von Indonesien handverlesene Wahlmänner stimmten für den Anschluss an das indonesische Staatsgebiet. Dieser «Act of Free Choice» wird seitdem als «Act of No Choice» bezeichnet. Trotz der offensichtlichen Mängel wurde die Abstimmung von der UNO anerkannt. Bis heute verlangen die Papuas eine Wiederholung dieses Referendums. Viele fordern ausserdem die Unabhängigkeit West Papuas. Seit 1970 kommt es zu massiver Migration von Indonesiern anderer Landesteilenach West Papua. Noch bis 1962 war das Gebiet hauptsächlich von christlichen Papua-Urbewohnern besiedelt. Heute sind es nur noch etwa 55 Prozent Ureinwohner.

West Papua ist reich an Bodenschätzen. Gold, Kupfer, Gas, Holz. Auch das Potenzial für grosse Agrarflächen machen den Standort für Bergbau- und Agrarkonzerne attraktiv. Doch die natürlichen Ressourcen sind für die christlichen Ureinwohner mehr Fluch als Segen. Anstatt zu profitieren, werden sie deswegen systematisch vertrieben. Mit dem Resultat, dass heute in West Papua etwa 60’000 Binnenflüchtlinge leben.

Der Zugang nach West Papua bleibt Menschenrechtsverteidigern seit Jahren verwehrt. Eine unabhängige Dokumentation der Situation vor Ort durch Vertreter der UNO ist derzeit nicht möglich. westpapuanetz.de

Reto Baliarda

Hier können Sie für die unterdrückten Christen in West Papua spenden. Vielen herzlichen Dank.

 

 

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